0908 - Das Golem-Trio
schnell wie selten. Nicht Jane befand sich in Gefahr, wie sie angenommen hatte, sondern sie selbst, denn sie rechnete damit, da die Lehmgestalt ihr Haus betreten würde, um sich nach Opfern umzuschauen.
Sarah hielt den Atem an, beobachtete die Gestalt, die sich die Erdkrummen abschüttelte.
Jetzt, dachte Sarah! Jetzt kommt er! Jetzt wird er dein Haus betreten.
Jetzt wird er die Haustür auframmen oder das Fenster…
Sie irrte sich.
Der lehmige Körper zeigte kein Interesse an ihr. Mit einer fast lockeren Bewegung drehte er sich um, da er ihr den Rücken zuwenden wollte.
Und ebenso lässig schleuderte er seine Beine nach vorn, um den Vorgarten zu durchqueren.
Wollte er auf die Straße? War er denn wahnsinnig? Es fuhren hier zwar nicht so viele Wagen wie in der Londoner City, diese Wohnlage von Mayfair war sehr ruhig, aber…
Verkehr herrschte immer.
Lady Sarah hatte ihren ersten Schrecken überwunden. Sie bewies nun, daß sie zu recht den Namen Horror-Oma trug, denn einschüchtern ließ sich die Frau nicht. Auch die Angst war weg. Wie abgelegt.
Auch in ihrem Alter waren noch die Adrenalinstöße zu spüren, die dafür sorgten, daß sie den nötigen Kick bekam. Natürlich konnte sie nicht mehr so schnell laufen, sie mußte ihrem Alter eben Tribut zollen, doch als sie an der Haustür war, zögerte sie nicht, sie aufzuzerren.
Der Blick nach draußen.
Zunächst vorsichtig und noch immer die Deckung der Haustür dabei ausnutzend. Die Gestalt war weg. Einfach verschwunden, als wäre sie wieder zu Erde geworden. Das wollte Lady Sarah nicht glauben, dann hätte sie Spuren sehen müssen. Die einzige ihr bekannte Spur war das Loch im Vorgarten.
Sarah Goldwyn übereilte nichts. Sie blickte behutsam nach rechts und links, wo ein schmaler Weg zu den Abgrenzungen der Nebenhäuser führte. Hecken bildeten im Sommer ein dichtes Hindernis. Jetzt waren die Zweige kahl, trotzdem, der Fremde war nicht zu sehen.
Es blieb nur die eine Möglichkeit. Er hatte den Vorgarten hinter sich gelassen und war auf die Straße gelaufen. Wo aber blieb die Panik derjenigen Autofahrer, die ihn gesehen haben mußten, als er die Fahrbahn überquerte? Schließlich war er kein normaler Mensch, sondern ein braunes, lehmiges Monstrum, das einfach einen Schrecken verbreiten mußte, wenn es erschien.
Der Lieferwagen eines Blumenladens fuhr vorbei. Ihm folgte ein alter VW-Käfer. Zwei Radfahrer trampelten in die entgegengesetzte Richtung, und niemand war da, der sich gestört gefühlt hätte.
Die Horror-Oma verstand die Welt nicht mehr. Das Ding hatte sie sich doch nicht eingebildet. Es war aus dem Boden gekrochen oder hatte sich im Freien gebildet, und zurück war noch immer ein Krater geblieben, ein schlichter, dennoch eindrucksvoller Beweis. Sarah dachte bereits einen Schritt weiter, während sie langsam ihren Vorgarten durchquerte und sich dabei vorkam wie eine Fremde. Sie blieb dort stehen, wo der Gehsteig begann und ihr Grundstück endete.
Sie suchte den Boden ab. Es mußte doch Spuren geben! Lehmklumpen, vielleicht auch Blätter- oder Zweigreste, aber da war nichts zu sehen.
Sie stöhnte, dabei wußte sie nicht, ob sie es vor Wut oder Enttäuschung tat.
Sarah Goldwyn schaute über die Straße hinweg und blickte direkt gegen das Gitter eines Nachbargrundstücks. Die Abtrennung aus Eisen stand auf einem Bruchsteinsockel, und Sarah war sicher, daß die Gestalt ihn nicht überstiegen hatte.
Was tun? Wie sollte sie sich verhalten?
Andere hätten möglicherweise die Polizei angerufen und den Beamten eine Geschichte präsentiert, die zwar den Tatsachen entsprach, über die die Polizisten allerdings lachen würden. Auch sie würde die Polizei anrufen, und zwar einen bestimmten Mann.
John Sinclair, das hatte sie erfahren, trieb sich noch in Deutschland herum, aber Suko war bestimmt in seinem Büro zu erreichen.
Viel schneller als auf dem Hinweg lief sie zurück, wobei sie sich immer wieder umschaute, denn es war damit zu rechnen, daß die Gestalt plötzlich auftauchte.
Sie blieb jedoch verschwunden.
Sarah eilte ins Haus und schloß die Tür. Sie lauschte. Es war auch zu befürchten, daß diese Unperson ihr Haus betreten hatte, aber Sarah hörte nichts, abgesehen von ihrem eigenen Atem, und den bekam sie wieder unter Kontrolle.
Der nächste Weg führte sie in den Wohnraum, wo sie sich niedersetzte, um zu telefonieren.
Die Nummer des Inspektors kannte sie auswendig. Es war besser, wenn er sich um die Sache kümmerte. Und noch besser war es,
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