0909 - Drachentod
schlicht ignoriert, aber Zamorra wusste, dass das sein Interesse nur noch mehr geweckt hatte. Zamorra hasste es, die Gefühle anderer Menschen auszunutzen, aber manchmal musste es einfach sein.
»Wir glauben, dass sie in höchster Gefahr ist.« Das war noch nicht einmal gelogen. Trotzdem hatte Zamorra ein schlechtes Gewissen. Doch Yang sprang sofort darauf an.
»Was brauchen Sie?«, fragte er knapp.
»Ein Visum nach China. Dann müssten sie uns verdeckt über die Grenze bringen.«
»Nehmen Sie den nächsten Flieger nach Shanghai. Ich kümmere mich um das Visum.«
Grußlos beendete Yang die Verbindung. Er hatte bis zur Ankunft der Franzosen noch viel zu tun.
***
Meister Shiu saß auf einer Bank im sorgfältig gepflegten Klostergarten und genoss die Stille, die nur ab und an vom Zwitschern eines Vogels unterbrochen wurde. Sein Blick wanderte über die präzise Anordnung der Steine, Pflanzen und kleinen Teiche, die als Abbild eines idealen Universums konzipiert war. Ich sollte das viel öfter tun , dachte er. Es bleibt mir nur noch so wenig Zeit, um die Wunder dieser Welt zu genießen.
Der Gedanke an den Tod schreckte das Drachen-Oberhaupt nicht. Meister Shiu hatte in seinem Leben alles erreicht, was ein Mitglied der Bruderschaft überhaupt nur erreichen konnte. Jetzt war er alt und müde, und der Gedanke, die Verantwortung an einen Jüngeren abzugeben, erfüllte ihn fast mit Erleichterung. Aber noch war seine Aufgabe nicht erfüllt.
Meister Shiu blickte auf, als sich ihm ein Mann näherte. Lam Chi-Wei wirkte in der safrangelben Robe eines Drachenpriesters seltsam verkleidet. Der Zauberer wurde flankiert von zwei jungen Mönchen, deren durchtrainierten Körpern deutlich anzusehen war, dass sie ihre Zeit nicht nur mit Meditieren und Beten verbrachten. Unter ihren Kutten zeichneten sich die Umrisse automatischer Waffen ab. Und sie würden keine Sekunde zögern, sie gegen jede Bedrohung des Klosters einzusetzen.
Aber war Lam überhaupt eine Gefahr? Meister Shiu betete zu Tin Hau, dass seine Instinkte ihn trogen. Das Drachen-Oberhaupt hatte die außergewöhnliche Begabung des jungen Mönches von Anfang an erkannt und ihn selbst ausgebildet. Und er war es auch gewesen, der den fast kometenhaften Aufstieg seines talentierten Schülers in der Hierarchie des Ordens gestoppt hatte.
Denn Lam war zu ehrgeizig. Ihm stand eine große Zukunft in der Bruderschaft bevor, und Meister Shiu hatte ihm sogar zugetraut, dass er eines Tages seinen Platz einnehmen würde. Aber der junge Zauberer wollte zu schnell zu hoch hinaus. Ihm fehlte jede Demut.
Also hatte das Drachen-Oberhaupt ihn aus der behüteten Welt des Klosters genommen, damit er sich auf der Straße bewährte. Er hatte Lam versuchsweise mit der Beaufsichtigung einiger Aktivitäten im Bereich des Glückspiels und der Prostitution beauftragt. Eigentlich keine Tätigkeit, die eines Magiers seines Formats würdig gewesen wäre. Doch zu Meister Shius Erstaunen hatte sich Lam mit Feuereifer auf die neue Aufgabe gestürzt und sich schnell hochgearbeitet.
Und jetzt waren drei Männer tot. Trotz der prallen Mittagssonne verspürte der alte Mann ein leichtes Frösteln.
»Ehrwürdiger Meister?«
Lam Chi-Wei verbeugte sich tief vor seinem alten Lehrer. »Ihr wolltet mich sprechen.«
Meister Shiu gab den beiden Wachen ein Handzeichen. Mit einem ehrfürchtigen Nicken zogen sie sich zurück, blieben aber in Sichtweite. »Chi-Wei, es freut mich, dich zu sehen. Setz dich zu mir.«
Falls Lam diese Aufforderung erstaunte, ließ er es sich nicht anmerken. Normalerweise herrschte im Kloster ein strenges Zeremoniell. Und wenn das Oberhaupt der Bruderschaft einen Untergebenen zu sprechen wünschte, bat er ihn normalerweise nicht zu einem kleinen Plausch auf die Gartenbank. Doch Lam nickte nur und setzte sich.
»Es ist lange her, dass wir miteinander gesprochen haben.«
»Ja, Meister. Das ist es.« War da eine Spur von Verbitterung in Lams Stimme? Wenn es so war, hatte sich der junge Mönch sofort wieder im Griff. »Wir haben eine Spur bei den Kasino-Morden.«
»Eine Spur?«
Lam griff in eine versteckte Tasche seiner Robe und holte eine kleine, ungeheuer grässliche Jadefigur in der Form eines gehörnten Affen mit großen, ledrigen Flügeln hervor. Sie war kaum fünf Zentimeter groß und erstaunlich filigran gearbeitet. Meister Shiu glaubte, jedes einzelne Härchen der grotesken Gestalt erkennen zu können.
»Ein Dämon…«
Lam nickte. »Es gibt einen alten malaiischen Kult, der
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