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091 - Die Braut des Hexenmeisters

091 - Die Braut des Hexenmeisters

Titel: 091 - Die Braut des Hexenmeisters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Willow
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ordentlich hinterlassen, wenn sie Feierabend machen?“
    Er bückte sich, um die Stange beiseite zu räumen. Da hörte er ein schwaches Stöhnen unter sich.
    Zuerst glaubte er, der Nachtwind und das gurgelnde Seinewasser habe dieses Geräusch erzeugt. Doch als sich das Stöhnen unter ihm wiederholte, beugte er sich vorsichtig über die Schachtwand.
    Die ganze linke Seite war eingestürzt. Darunter sah er einen Kopf, der sich schwach bewegte und versuchte, den Mund über dem brackigen Wasser zu halten.
    Bacard schwang sich über die Grabenwand und sprang ins Wasser. Er packte das Kinn des jungen Mannes, der nur noch mit dem Kopf aus einem Sandhaufen herausragte, und hob es hoch. Zu ziehen wagte er nicht. Und dann schrie er aus Leibeskräften um Hilfe. Erst nach zehn Minuten hörte ihn ein Polizist in der nahegelegenen Wache des Quai d’Orsay. Kopfschüttelnd verließ er seinen Posten, um nachzusehen, wo die Stimme herkam. Dann lief er zum Revier zurück und holte alle verfügbaren Beamten, um den Verunglückten zu bergen. Als der Notarztwagen eintraf, schaufelten die Beamten gerade den letzten Sand weg und hoben das Brett von Jeans Schultern.
    Nachdem der Notarzt ihn untersucht hatte, meinte er: „Das ist ja gerade noch mal gutgegangen. Schock und ein paar Rippen gebrochen.“
    Die Beamten halfen ihm, den Bewußtlosen in den Krankenwagen zu schieben, der mit Blaulicht zum Universitätskrankenhaus brauste.
     

     
    Yvette und Madame Robin hatten den Meister noch nie so wütend erlebt. Er hatte alle Gäste weggeschickt und saß jetzt unten im roten Saal, in der „Hölle“, und goß sich ein Glas Armagnac ein. Er leerte es mit einem Zug und warf es Yvette an den Kopf.
    „Du dumme Gans“, brüllte er. Auf seinem bleichen Gesicht bildeten sich violette Flecken, und seine dunklen Augen sprühten vor Wut. „Was hast du mir da eingebrockt!“
    Yvette zitterte am ganzen Körper. Sie war zwar nicht mehr ganz jung, aber sie liebte den Meister seit dreißig Jahren und war ihm hörig. Es wäre ihr nie in den Sinn gekommen, ein Gebot des Meisters zu mißachten. Sie verstand ja, daß der Meister immer frischen Nachschub brauchte – junges Blut. Trotzdem konnte sie die Eifersucht auf diese jungen Dinger nie ganz unterdrücken. Jetzt, da sie auch noch ungerecht behandelt wurde, lehnte sie sich sogar gegen ihren geliebten Meister auf.
    „Ich habe dir immer treu gedient“, erwiderte sie mit tränenerstickter Stimme. „Das weißt du ganz genau. Ich begreife das einfach nicht. Eben warst du noch so froh über dieses neue Mädchen, und jetzt …“ Sie schluchzte. „Du weißt, was es mich für eine Überwindung kostet, dir immer wieder ein Mädchen zuzuführen, und …“ Plötzlich verwandelte sich ihre Niedergeschlagenheit in Gift und Galle. „Treib es nicht zu weit, Alain“, schrie sie hysterisch, „treib es nicht zu weit, sonst…“
    Der Meister goß sich noch einen Armagnac ein und trank ihn langsam leer. Dann war er wieder ganz ruhig. „Nun berichte mal, wie du zu diesem Mädchen gekommen bist“, sagte er, und in seiner Stimme lag nur noch ein leises Grollen.
    „Ja, Meister“, sagte Yvette, schon wieder fast versöhnt, und wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln. „Ich habe es auch diesmal so gemacht wie seit Jahren schon, Alain. Die Kleine las meine Annonce am Bahnhof, daß ich Stellen für alleinstehende junge Mädchen vermittle. Und so kam sie zu mir. Sie hatte nur einen Koffer dabei, und ich merkte gleich, daß sie von zu Hause weggelaufen sein mußte.“
    „Ja, ja“, unterbrach sie der Meister ungeduldig, „beschränke dich bitte auf das Wesentliche, Yvette.“
    „Nun, ich habe sie ausgehorcht. Sie hat keine Verwandten in Paris und nur noch eine alte Mutter in Saint-Quentin.“
    „Zum Teufel“, sagte Alain wütend, „sie hat gelogen. Ihre Mutter und ihre Großmutter und alle ihre Ahninnen haben seit 1572 in Amiens gelebt!“
    „Wo – woher weißt du das?“ fragte Yvette erstaunt.
    Der Meister lächelte. „Der Geist, den du heute abend beschworen hast, hat es mir verraten. Weiter!“
    „Ja, Meister.“ Yvette schluckte. „Also sie war nach Paris gereist, um endlich aus der Provinz herauszukommen und auf eigenen Füßen zu stehen. Für den Anfang wollte sie erst mal Familienanschluß finden und möglichst eine Stelle mit Logis haben. Sie kann Steno und Schreibmaschine. Und das paßte alles so ideal zusammen, daß ich sie gleich zu Odile schicken konnte.“
    „Wie die anderen auch“,

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