091 - Ein Geist kehrt zurück
in eine endlos leere Weite, aus der ihn niemand zurückzuholen vermochte.
Der fünfzigjährige Terence Pasquanell saß bei ihm und betrachtete ihn unentwegt. Der bärtige Mann kam mir fremd vor, denn er war nicht in Leder gekleidet, wie ich ihn kennengelernt hatte, sondern trug einen kombinierten Anzug: Fischgrätjackett, dunkelblaue Hosen.
Ich erinnerte mich an unsere erste Begegnung. Wir hatten ihm das Leben gerettet, hatten den Werwolf, der ihn töten wollte, vernichtet, und danach hatte ich Pasquanell fragen wollen, ob er mit uns nach England kommen und Pater Severin helfen würde, doch dazu war es nicht gekommen, weil die schwarze Macht mich fortgerissen und in eine mir unbekannte Welt geschleudert hatte.
Ich begab mich zu Pasquanell. »Danke, daß Sie sich bereit erklärt haben, dem Pater zu helfen.«
Er betrachtete kurz meine Hand, die ich ihm entgegenstreckte, dann schlug er kräftig ein und erhob sich.
»Wenn Sie und Mr. Silver nicht eingegriffen hätten, als Oakland mir damals das Leben nehmen wollte, wäre ich nicht mehr auf dieser Welt, Mr. Ballard.«
»Tony« , verbesserte ich ihn.
»Ich habe zu danken, Tony«, sagte der Werwolfjäger. »Aber ich bin nicht nur aus reiner Dankbarkeit hier«, fügte er seinen Worten hinzu. »Ich gehöre zu jenen seltsamen Exemplaren, die einfach nicht nein sagen können, wenn jemand sie um Hilfe bittet. Und schon gar nicht, wenn es darum geht, das Böse beziehungsweise seine Auswirkungen zu bekämpfen. Ich glaube, Sie sind genauso.«
Ich nickte. »Werden Sie für unseren bedauernswerten Freund etwas tun können?«
»Ich hoffe es. Ich habe alles, was dieser Priester abstrahlt, in mich aufgenommen. Ich bemühe mich, so zu werden wie er. Sein Schicksal soll zu meinem werden. Wir müssen auf einer Ebene, die man nicht sehen kann und die nicht meßbar ist, eins werden. Ich muß den Kampf nicht als Terence Pasquanell, also als Fremder, aufnehmen, sondern meine Energie muß Pater Severin unterstützen, muß hinabtauchen in die unendliche Schwärze, die seinen Geist umgibt, muß ihn finden und zurückholen.«
»Wenn Sie das tun… Besteht da nicht die Gefahr, daß sein Zustand auf Sie übergeht?« fragte ich.
»Wir werden sehen, was die Zukunft bringt, Tony. Ich bin bereit, jedes Risiko auf mich zu nehmen.«
***
Man mußte die Tür aufbrechen, um Schwester Sandra aus ihrer Wohnung holen zu können. Die junge Frau war ohnmächtig. Man legte sie auf eine Bahre und trug sie zum Krankenwagen hinunter.
»Was hat sie denn?« fragte Mrs. Brimsdale den Rettungsarzt.
»Sieht nach einem Kreislaufkollaps aus«, sagte dieser und nickte der Frau kurz zu.
»Soll ich das ihrem Sohn sagen, wenn er von der Schule nach Hause kommt? Er ist erst zehn. Ob er das verstehen wird? Kreislaufkollaps.«
»Sagen Sie ihm einfach, seine Mutter wäre ohnmächtig geworden, er brauche sich aber keine Sorgen zu machen, sie würde bald wieder bei ihm sein.«
»Das hoffe ich. Sie ist so ein netter, angenehmer Mensch.«
Der Krankenwagen raste los, und zwanzig Minuten nachdem die Krankenschwester die Klinik verlassen hatte, traf sie dort wieder ein.
Der Chefarzt wurde in die Aufnahme gerufen. Er untersuchte die junge Frau selbst. Dr. Ted Stephen machte ihn auf die Verletzung aufmerksam, die er verarztet hatte, und Dr. Winger schaute sie sich an.
»Hat sie gesagt, woher sie diese Verletzung hat?« wollte der Chefarzt wissen.
Dr. Stephen nickte und wiederholte, was die Krankenschwester gesagt hatte.
Dr. Winger schaute den jungen Assistenzarzt ernst an. »Und haben Sie den Biß gründlich gereinigt, bevor Sie ihn behandelten?«
»Natürlich«, gab Dr. Stephen heftig zurück. »Ich habe die Wunde gewissenhaft behandelt.«
Das glaubte der Chefarzt dem jungen Mediziner. Er hielt Dr. Stephen für einen äußerst tüchtigen Arzt, auf den man sich verlassen konnte. Gewissenhaftigkeit war für Ted Stephen stets oberstes Gebot, egal, wo man ihn einsetzte. Er hatte sich noch nie eine Nachlässigkeit zuschulden kommen lassen.
Die Wundränder hatten sich grau verfärbt, und ein dunkler Strich zog sich an der Innenseite von Schwester Sandras Arm hoch. Blutvergiftung.
Dr. Winger ordnete an, was zu tun sei, und begab sich anschließend in sein Büro.
Eine halbe Stunde später rief ihn Dr. Stephen aufgeregt an und teilte ihm mit, daß die Krankenschwester komatös geworden war. Trotz aller Maßnahmen, die der Chefarzt angeordnet hatte, hatte sich der Zustand der jungen Frau stetig verschlechtert, und die
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