091 - Ein Geist kehrt zurück
dem Chefarzt einen erstaunlichen Blick zu.
Dr. Winger nickte. »Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, was ich von all dem halten soll. Tatsache ist, daß Stan Vandell kein Herz mehr hatte, als Sie ihn obduzierten. Jemand hat dem Patienten das Herz geraubt. Sehen Sie mich nicht an, als würden Sie mich für übergeschnappt halten, Dr. Thompson.«
»Die Brust Vandells wies keinerlei Verletzung auf«, sagte Aaron Thompson.
»Das ist mir bekannt. Sie können mir glauben, ich habe Ihren Obduktionsbericht sehr genau gelesen. Mehrmals.«
»Auf welche Weise sollte jemand dem Patienten das Herz gestohlen haben?«
Der Chefarzt wies auf den Toten. »Er hat es gesehen. Aber er hielt es zuerst für einen Alptraum. Er hat miterlebt, wie Vandell ermordet wurde, und er wäre auch in der Lage gewesen, den Mörder zu beschreiben. Leider war der Täter schneller, so daß wir weiter keine Ahnung haben, wer es ist.«
Aaron Thompson arbeitete rasch. Der Chefarzt erzählte ihm, was ihm Lane Campas gesagt hatte.
Dr. Thompson schüttelte den Kopf. »Ich kann das alles einfach nicht glauben.«
»Campas hatte keinen Grund, mir eine Lüge zu erzählen«, sagte Dr. Winger. »Ich begreife es ebensowenig wie Sie. Ich kann lediglich die Fakten zur Kenntnis nehmen. Erklären kann ich mir das Ganze nicht. Jemand in diesem Haus versteht sich auf irgendeine gefährliche Zauberei. Er raubt den Menschen ihr Herz. Warum er das tut, kann ich nicht sagen. Campas hätte ihn entlarven können…«
Dr. Thompson öffnete die Brust des Toten.
Es war für Dr. Winger keine Überraschung, daß das Herz des Mannes fehlte.
In einer Ecke des Raumes bewegte sich etwas, aber die Ärzte waren zu sehr in ihr Tun vertieft, um es zu bemerken.
Zwei Ratten waren es. Die eine hatte Vandells Augen, die andere die von Lane Campas!
***
Mr. Silver stoppte den Rover vor dem großen alten Pfarrhaus. Pater Laurentius trat heraus, als wir aus dem Wagen stiegen. Er vertrat unseren Freund Severin, war ein junger, gutaussehender Priester, der jederzeit einen Job als Dressman hätte antreten können.
Er begrüßte uns freundlich lächelnd, streckte mir beide Hände entgegen und fragte: »Tony, wie geht es Ihnen?«
»Hervorragend«, antwortete ich. »Und Ihnen?«
»Ich kann nicht klagen.«
»Haben Sie gut auf meinen Freund Severin aufgepaßt?«
»Wie auf meinen Augapfel.«
»Hat sich sein Zustand gebessert? Verschlechtert?«
»Weder noch. Sein Zustand ist unverändert. Er vegetiert nur dahin, weiß nicht, wo er ist, wer er ist, daß er überhaupt lebt.«
»Ist Pasquanell bei ihm?« fragte ich.
Pater Laurentius nickte mit kummervoller Miene. »Wollen Sie wirklich dieses große Wagnis eingehen?«
»Was gibt es für eine Alternative?« fragte ich zurück.
»Dieser Werwolfjäger ist ein halber Wilder.«
»Er verbrachte die meiste Zeit seines Lebens in den weiten Wäldern der Rocky Mountains. Er jagt mit großem Erfolg Werwölfe. Was haben Sie gegen ihn?«
»Nichts. Er ist mir sympathisch, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß dieser Mann Pater Severin zu helfen vermag.«
»Er besitzt ein Wissen, das niemand sonst hat«, erklärte ich. »Betrachten Sie es doch einmal so, Pater: Was hat Severin zu verlieren?«
»Sein Leben. Das ist immerhin eine ganze Menge.«
»Was für ein Leben? Kann man dieses Dahinvegetieren denn noch als Leben bezeichnen?«
»Die Kirche und ich sehen das anders.«
»Ich möchte Pater Severin nicht verlieren«, sagte ich ernst. »Ich glaube nicht, daß ihm Pasquanell schaden wird. Entweder hat der Werwolfjäger Glück, und aus Pater Severin wird wieder der Mann, den wir alle geliebt und geschätzt hatten, oder er bleibt das, was er jetzt ist Ein Nichts, ein Niemand. Eine Hülle ohne Gefühle und Verstand. Wenn Severin die Möglichkeit hätte, dem Versuch zuzustimmen, würde er nicht zögern, es zu tun, das weiß ich. So gut kenne ich ihn.«
»Ich bete für sein Seelenheil und seine Genesung«, sagte Pater Laurentius und ließ uns ein.
Als ich wenig später Pater Severin sah, krampfte sich wieder einmal mein Herz zusammen.
Das Leben kann einen Menschen hart machen. Der Kampf gegen die Hölle noch härter. Ich hatte mir im Laufe der Zeit eine dicke Haut zugelegt, zulegen müssen, aber Pater Severins Anblick ging mir immer wieder unter diese Haut.
Er saß in einem alten Sessel, ein großer Mann mit dem sympathischsten Pferdegesicht, das man sich vorstellen kann. Seine großen Hände lagen reglos auf den Lehnen, und er blickte mit dunklen Augen
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