0910 - Blutliebe
weiter. »Ich stelle mir vor, wie ich reagieren werde, wenn plötzlich meine Tochter als Untote oder Wiedergängerin vor mir steht und mich mit blutigen Lippen und langen Vampirzähnen angrinst. Das ist es, was mich so stört und mich…« Er schüttelte sich, keuchte und stellte sein Glas weg.
Der Mann war fertig, er schien die Angelegenheit nicht verkraften zu können. Ich dachte bereits darüber nach, ihn für eine Weile fortzuschicken, doch seine nachfolgenden Worte ließen den Plan bereits im Ansatz ersticken.
»Ich will trotzdem bleiben«, sagte Kendrake. »Ich will es durchstehen, verdammt noch mal! Ich will meiner Tochter ins Gesicht schauen können - und in die toten Augen. Ich habe mich innerlich darauf eingestellt.« Er nickte. »Klar, ich werde einen Schock bekommen, aber ich bin sicher, daß ich ihn überlebe, weil ich ihn erwartet habe.« Er verstummte und blickte zuerst Jane, danach Suko und mich an. »Oder haben Sie etwas dagegen einzuwenden, daß ich in meinem Haus bleibe?«
Wir hatten es nicht.
Nur Jane fragte: »Wir müßten uns allmählich einen Plan zurechtlegen. Es dämmert, und damit beginnt ihre Zeit. Möglicherweise sind sie schon unterwegs. Zumindest bei den zwei neuen Blutsaugern wird die Gier nach dem Lebenssaft unersättlich sein, und sie werden auch keine Rücksicht auf sich selbst nehmen.« Jane deutete auf ihren Fuß. »Ich bin gehandicapt, deshalb kann ich euch beide bei der Suche nicht unterstützen.«
»Was hast du vor?« fragte Suko.
»Ich bleibe hier. Und zwar hier im Zimmer.« Jane deutete auf Sir Walter. »Mr. Kendrake wird mir sicherlich Gesellschaft leisten, ebenso wie Greta.«
»Ich?« schnappte die Frau.
»Ja, es ist so am besten. Oder wollen Sie sich in ihre Küche verkriechen, wo Sie schutzlos sind?«
»Nein, nein.« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Raki hat ja keine Kreuze besorgt. Wir haben keinen Schutz. Sie werden uns leicht überfallen können.«
Kendrake war mit dem Vorschlag einverstanden, hatte aber noch eine Frage: »Sie beide werden doch sicherlich nicht hier im Zimmer bleiben.«
»Auch nicht im Haus«, sagte ich. »Doch wir werden uns bei unserer Suche nicht weit davon entfernen. Wenn es eben möglich ist, müssen wir die Blutsauger noch vor Betreten des Hauses fassen.«
»Das wäre gut«, sagte Jane.
»Und meine Tochter?« flüsterte Kendrake.
Ich hob die Schultern.
Er starrte mich an. Sekunden vertropften. Dann nickte er und sagte: »Sie haben mein Einverständnis. Tun Sie bitte, was Sie tun müssen…«
***
Sie waren unterwegs. Der leichte Dunst und die Schatten der Bäume schützten sie ebenso wie die immer stärker werdende Dunkelheit. Es kam ihnen nicht so sehr darauf an, irgendwelche Geräusche zu vermeiden, das schafften sie sowieso nicht. Sie wollten so rasch wie möglich ihr Ziel erreichen.
Zwar fühlte sich Nurescu als Führer, in diesem Fall aber hatte er Romana den Vortritt gelassen, da Sie sich auf dem Grundstück am besten auskannte. Sie hatte sofort einen Bogen geschlagen, um von der Seite her an das Haus zu gelangen, denn dort wußte sie einen ganz besonderen Platz.
Sie hatte einmal erlebt, wie eine fremde Frau ihren Vater besucht hatte, und sie hatte sich gefragt, wie es der Frau möglich gewesen war, ungesehen in das Haus zu gelangen. Greta, die über alles Bescheid wußte, hatte sie ins Vertrauen gezogen und ihr erklärt, daß ihr Vater dort eine schmale Seitentür hatte anbringen lassen, die niemals verschlossen war. Daran hatte sie sich zum Glück erinnert, und sie würden auf diesem Weg das Haus erreichen.
Sie wurden nicht gesehen, zumindest fiel ihnen nichts auf. Sie nahmen auch keinen menschlichen Geruch wahr. Kein Blutdunst erreichte ihre Sinne. Unter den Ästen der Bäume schoben sie sich weiter und umgingen noch einen Buschgürtel, der auf einer sandigen Fläche wuchs. Den Kindern der früheren Besitzer hatte dieser Platz als Spielwiese gedient.
Zugleich blieben sie stehen.
Zugleich hatten sie etwas gewittert!
Nurescu schob sich an Romana heran und drückte sich dann an ihr vorbei. Er tauchte für einen Moment hinter dem dürren Gestrüpp in Deckung, wartete und hörte - ebenso wie die anderen - die Schrittgeräusche.
Da kam jemand!
Nein, nicht einfach nur Jemand, sondern ein Mensch. Ein auf zwei Beinen gehendes Blutreservoir.
Hinter seiner Deckung drehte sich Nurescu um, weil er die Bewegung gespürt hatte.
Krishan war vorgelaufen.
Er glotzte seinen Herr und Meister an, als wollte er ihn durch diesen
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