0914 - Der Fluch der Sinclairs
leuchten.
Horace F. Sinclair schaute dem Reiter entgegen. Er spürte, daß ihn eine andere Aura erfaßte, die von dieser Gestalt ausging. Sie hatte nichts mit der zu tun, die er von dem schwarzen Schatten her kannte, sie war so konträr, und sie glitt immer weiter auf ihn zu.
Er wartete.
Das Pferd ging noch einige Schritte, dann blieb es stehen.
Sinclair wollte sprechen. Plötzlich mußte er Fragen stellen, doch er traute sich nicht. Etwas schnürte seine Kehle zu, und er spürte auch, wie das Fremde allmählich aus ihm herausglitt und er wieder hineingeriet in den normalen Zustand.
Er hielt das Gewehr zwar noch fest, aber die Mündung rutschte jetzt an der Stirn der Blonden entlang nach unten, streichelte ihr Gesicht und wies dann zu Boden.
Der Fremde fing an zu sprechen. »Es ist gut, daß du es nicht getan hast, Horace, es ist gut…«
»Du kennst mich?« flüsterte Sinclair.
»Ja, ich kenne dich.«
»Warum? Woher?«
»Wir sollten uns alle kennen.«
»Ich verstehe das nicht.«
Der Reiter ging darauf nicht ein. Er schnitt ein anderes Thema an. »Keine Morde mehr, Horace! Es ist genug Blut geflossen. Es wurde schon zuviel getötet, und es muß einmal ein Ende haben. Ich habe es damals nicht geschafft, weil die Wirren des Krieges zu stark gewesen waren, aber heute ist es vorbei, und ich will auch, daß alles andere vorbei ist. Ich möchte endlich meinen Frieden haben und nicht mehr unter all dem Grauen existieren müssen.«
Horace F. Sinclair schüttelte den Kopf. »Und wer bist du?«
»Ich heiße St. Clair. Ich bin ein Gejagter, ein Flüchtling, der dem Grauen entwischen wollte. In einem anderen und fernen Land habe ich die Schrecken erlebt. Ich möchte nicht, daß sie noch einmal zurückkehren. Sie müssen ein Ende haben. Das Böse begleitet mich, es ist mein Fluch, ich weiß es, aber das Böse muß auch vernichtet sein.«
»Das Böse?«
»Der Schatten…«
»Wer ist der Schatten?«
»Frag nicht, Horace. Es ist besser, wenn du nicht zuviel weißt. Aber es wird sich alles aufklären, ich bin mir sicher, ganz sicher. Zuviel ist in Bewegung geraten, als daß es sich wieder zurückziehen könnte. Es muß und wird ein Ende haben, und du wirst deinen Sohn sehen, der sich dagegen anstemmt. Er ist der Sohn des Lichts, er wird es schaffen.«
Der geheimnisvolle Reiter nickte noch einmal, dann zog er sein Pferd um die Hand und ritt davon.
Horace F. Sinclair stand da, ohne sich zu bewegen. Er starrte der Gestalt hinterher, die denselben Weg nahm, den sie gekommen war und sich durch das leichte Buschwerk drängte.
Sinclair erwachte wie aus einem Traum, als die Gestalt endgültig von der Dunkelheit verschluckt worden war, und dann starrte er nach vorn. Er sah die junge Frau, er hörte ihr leises Schluchzen, runzelte die Stirn und berührte die Halbnackte an der Schulter, die daraufhin zusammenzuckte und leise aufschrie.
»Entschuldigung, aber ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich - ich weiß nicht, was hier geschehen ist…«
Auch Ellen hatte die Worte verstanden. Sie wußte nicht, was sie davon halten sollte. Noch konnte sie kaum glauben, daß der Kelch des Todes an ihr vorbeigeglitten war, aber die Mündung der Waffe bedrohte sie nicht mehr, sie zeigte jetzt zu Boden, es bestand keine Lebensgefahr, und sie traute sich endlich, aufzustehen.
Mühsam nur kam sie auf die Beine, schwankte zurück, fand am Volvo Halt und starrte den Mann aus glasigen Augen an, der einen verlegenen Eindruck machte und die Schultern hob.
Allmählich kehrten die Erinnerungen zurück. Ellen spürte, wie sie anfing zu zittern. Sie wollte grinsen, aber sie keuchte nur. Ihre Augen zeigten ein böses Licht. Sie preßte den Mund zusammen, öffnete ihn wieder und stöhnte auf.
»0 Scheiße!« keuchte sie dann. »So eine verdammte Scheiße. Wissen Sie überhaupt, was sie da getan haben und noch tun wollen, Mister? Wissen Sie das?«
»Nein, ich…«
»Sie wollten nicht töten!« brüllte sie. Ihre Stimme hallte den Hang hinab in Richtung Dorf.
»Töten?« fragte Sinclair in das anschließende Keuchen der Frau hinein. »Töten…?«
»Ja, töten.«
»Aber das war nicht ich!«
Sie lachte schrill. »Nicht Sie? Schauen Sie in den Wagen. Sie haben meinen Freund bewußtlos geschlagen und mich aus dem Fahrzeug gezerrt.« Ellen schnappte nach Luft. »Und dann haben Sie mich bedroht. Sie haben Ihre verfluchte Waffe genommen und die Mündung gegen meinen Kopf gepreßt. Das alles haben Sie getan, verdammt noch mal, das schwöre ich
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