0914 - Der Fluch der Sinclairs
meinen?«
»Sicher, und ich habe auch über die Gründe nachgedacht. Entweder ist er geläutert, durch welche Umstände auch immer, oder er kehrt zurück, um das in die Tat umzusetzen, was er seiner Meinung nach versäumt hat.«
»Was für Sie fatal wäre.«
Mary schaute ins Leere. Sie nickte. »Ja«, hauchte sie, »es wäre für mich fatal, lebensbedrohend. Ob Sie es glauben oder nicht, Sergeant, ich weiß es, und es macht mir nicht mal etwas aus. Das ist erschreckend, ich weiß, aber so denke ich. Ich möchte nicht mehr leben, wenn Horace nicht so wird wie früher. Dann ist es schon besser, wenn man selbst unter der Erde liegt.«
»So dürfen Sie nicht denken, Madam.«
»Niemand kann es mir verwehren.« Sie hob die Schultern und legte den Kopf schief. Ihr Blick verlor sich in weite Fernen. »Ich habe einen Sinclair geheiratet, Sergeant. Ich habe es nie bereut, auch jetzt nicht, aber ich bin allmählich zu der Überzeugung gelangt, daß dieser Name Fluch und Segen zugleich bedeutet.«
McDuff trank rasch einen Schluck Kaffee, den er gesüßt hatte. »Pardon, aber ich komme da nicht mit. Wieso einmal Fluch und zum anderen plötzlich Segen?«
»Segen insofern, wenn ich an meinen Sohn denke, den das Schicksal dazu ausersehen hat, sich den Mächten der Finsternis entgegenzustemmen. Und Fluch deshalb, weil sich mein Mann plötzlich so verändert hat. Er ist nicht mehr der gleiche. Das kann vorbeigehen, hoffe ich, aber ich sehe, obwohl ich keine Beweise dafür bieten kann, einen ursächlichen Zusammenhang mit dem Namen Sinclair.«
»Der sicherlich auch vergangenheitsbelastet ist.«
»Das können Sie wohl laut sagen, Sergeant. Wo Licht ist, da ist auch Schatten. Es gibt nicht nur das Positive. Unsere Welt baut auf dem dualistischen System auf, das habe ich längst bemerkt. Nehmen Sie nur eine Familie. Da wird ein Kind geboren, und zugleich weiß die Großmutter oder der Großvater, daß ihr oder ihm nicht mehr viele Jahre bleiben. Die Welt dreht sich weiter. Ob etwas gut oder böse ist, bestimmen nicht nur wir, sondern auch andere Mächte, obwohl der Herrgott es uns in die Hand gegeben hat, die Welt zu einem Paradies zu machen und das Böse zu vertreiben, aber das hat Adam schon nicht geschafft, als ihn die Schlange verführte.«
»Stimmt, Madam.«
Mary Sinclair schaute hoch und lächelte. »Wahrscheinlich langweile ich Sie, Sergeant, aber in Stunden wie diesen und nach allem, was passiert ist, kommen mir diese Gedanken eben.«
»Das ist ganz normal.«
»Zudem weiß man, daß der Tod in meinem Alter nicht mehr fern ist. Irgendwann wird er gegen die Tür klopfen und dich holen. Wir können den Lauf der Dinge nicht ändern. Ich bin dankbar dafür, daß mir bisher ein so gutes Leben vergönnt war, aber niemand existiert ewig. Jedem schlägt irgendwann einmal die Stunde. Ich möchte nur nicht, daß es auf eine so böse und schreckliche Art und Weise geschieht. Mit Mord, mit Totschlag und unter der Knechtschaft fremder Mächte. Ich möchte normal sterben, und darüber habe ich auch mit meinem Mann des öfteren gesprochen, der meine Ansicht teilt.«
»Ich werde es mir merken, Madam. Wenn ich ehrlich sein soll, haben sich meine Frau und ich damit noch nicht beschäftigt.«
»Sie sind auch jünger.«
»Irgendwann kommt es bestimmt.«
»Sicher.«
McDuff blickte wieder auf die Uhr. »Die erste Morgenstunde ist bald um. Wir werden in eine Zeit hineingeraten, wo jeder Mensch müde wird. Ich kenne das, und Sie sollten sich wirklich überlegen, Madam, ob Sie sich nicht hinlegen wollen.«
»Nein, ich bleibe wach.« Demonstrativ nippte Mary Sinclair an ihrem Kaffee.
»Gut, dann wachen wir eben zusammen.«
Mary lächelte. »Wie wäre es denn, wenn Sie eine Runde schlafen? Es würde Ihnen guttun. Ich bin innerlich so aufgewühlt, daß ich nicht einschlafen werde, das weiß ich.« Sie wollte noch etwas sagen, aber McDuff hatte die rechte Hand erhoben.
»Ist was?«
»Psst…«
Sie schwieg. Schaute zu, wie sich der Sergeant von seinem Stuhl erhob und mit einem gleitenden Schritt auf die Küchentür zuging. Er stieß sie nicht auf, sondern blieb stehen und drehte den Kopf, weil er Mary Sinclair ansehen wollte.
»Was ist denn?«
»Ich glaube, es ist jemand an der Tür.«
»Wirklich?« Auch Mary stand auf. Sie merkte, daß ihr Herz schneller schlug und sie anfing zu zittern. »Aber es hat doch niemand geklingelt.«
McDuff hatte die Küche noch nicht verlassen. »Ihr Mann besitzt doch bestimmt einen Schlüssel.«
»Das
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