0915 - Murcons Vermächtnis
schwang das Tor auf.
Die Freibeuter blickten in einen nicht sonderlich großen, kreisrunden Raum. Lichtquellen, die in den Wänden, der Decke und sogar im Boden untergebracht waren, erfüllten ihn mit Helligkeit, die einen bläulich-silbernen Schimmer hatte.
Murcon war nirgendwo zu sehen. Dafür hallte seine Stimme um so mächtiger: „Tretet ein, meine Gäste! Ein schlechter Gastwirt ist, wer seine Besucher unter der Tür stehen läßt!"
Arqualov leistete Folge. Er trat in den blauen Raum, und da seine Gefährten annahmen, er wisse, was er tue, folgten sie ihm. Kaum jedoch hatte Irritt als letzte die Pforte durchschritten, da fiel das Tor mit donnerndem Krach ins Schloß. Die Freibeuter zuckten erschreckt zusammen. Im selben Augenblick aber begann Murcon so dröhnend zu lachen, daß der Boden unter ihren Füßen zitterte.
„Ich dachte nicht, daß es so leicht sein würde, euch zu fassen!" rief der Herr der Burg. „Hat euch die Neugierde keine Ruhe gelassen? Mußtet ihr eure langen Nasen in mein innerstes Sanktum stecken, in dem ich für alle Zeit Ruhe vor euch zu haben glaubte!"
In einer Geste, die besänftigend wirken sollte, hob Arqualov beide Arme.
„Es liegt uns nichts daran, dich zu stören!" rief er. „Wenn du dich nach Ruhe sehnst, wollen wir dir Ruhe gönnen. Aber du bist der Herr der Burg! Warum willst du dich hier unten verstecken, während..."
„Sei still, du Wurm!" grollte Murcons Stimme. „Glaubst du nicht, daß ich weiß, wie treulos ihr an mir handeln wolltet? Ja - ich sehne mich nach Ruhe. Und ich werde sie mir beschaffen. Und gleichzeitig werde ich dem Universum ein Exempel dafür geben, wie es dem ergeht, der dem mächtigen Murcon Gastfreundschaft mit Untreue dankt!"
Das Licht, das den Raum erfüllte, wurde plötzlich intensiver. Der silberne Schimmer verschwand, die Lampen strahlten ein tiefes Blau aus. Gleichzeitig erhob sich ein intensives Summen, das den Körper bis in die letzte Nervenfaser durchdrang. Arqualov schrie auf, als er spürte, wie er die Kontrolle über seine Muskeln verlor. Mit letzter Kraft wollte er sich herumwerfen und zum Tor hin fliehen. Aber das Summen wurde stärker, der Herr der Freibeuter war wie benommen, und die Kraft war aus seinem Körper gewichen. Er erstarrte mitten in der Bewegung.
In dem düster-blauen Licht, das jetzt den Rundraum erfüllte, sah er, daß es seinen Gefährten nicht anders erging als ihm. „Ruhe brauche ich!" begann Murcons Stimme von neuem. „Aber absolute Ruhe ist dem Verstand abträglich. Ich’ brauche Entspannung. Ich brauche etwas, woran ich mich vergnügen kann. Dazu kommt ihr Treulosen mir gerade recht. Sperrte ich euch einfach hier ein, dann ginget ihr in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren den Weg aller Sterblichen, und ich hätte obendrein noch die Mühe, eure Leichen zu beseitigen. Ich aber bin unsterblich, also bedarf ich unsterblicher Vergnügung. Ich will euer Bewußtsein aus der vergänglichen Hülle des Körpers befreien! Ich verleihe euch Unsterblichkeit! Aber ihr werdet von nun an bis in Ewigkeit nichts anderes sein als Objekte, an deren Anblick ich mich erfreuen kann! Das sei eure Strafe für die Untreue, die ihr an mir begangen habt!"
Arqualov war so voller Panik, daß er die Worte kaum verstand. Er hatte noch immer nicht aufgegeben, sich mit aller Kraft gegen die Bewegungslosigkeit zu stemmen. Das Bewußtsein gab den Muskeln unaufhörlich Befehle.
Aber die Muskeln gehorchten nicht mehr.
Da gellte ein entsetzlicher Schrei durch das tiefblaue Halbdunkel. Arqualov sah auf, soweit es ihm die gelähmten Muskeln erlaubten. Da erblickte er Irritt. Sie erschien ihm durchsichtig, und von Sekunde zu Sekunde wurden ihre Umrisse nebelhafter, undeutlicher. Ehe Arqualov sich besinnen konnte, war die Gefährtin seines Lebens vor seinen Blicken entschwunden. Eine fürchterliche Angst bemächtigte sich seiner. Mit letzter Kraft wandte er den Blick seitwärts und sah eben noch, wie eine schattenhafte Gestalt, die Sinqualor gewesen sein mußte, sich in nichts auflöste.
Arqualov schrie auf, aber kein Laut kam über seine Lippen. Die unselige Bedeutung der Worte, die er zunächst nicht verstanden hatte, kam ihm jetzt zum Bewußtsein: ... aus der vergänglichen Hülle des Körpers befreien!
Er blickte an sich hernieder. Da war nichts mehr. Der Körper, der seit hundert Jahren seinem Bewußtsein als Heim gedient hatte, war verschwunden.
Der Schock war so gewaltig, daß Arqualovs Verstand vorübergehend die Tätigkeit
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