0917 - Das Totenfest
Widerscheins tanzten. Sie huschten hin und her wie alte Gardinen, an denen gezerrt wurde und die dann plötzlich wieder in der Finsternis verschwanden.
Rhena ein Opfer des Ghouls?
Alles, aber nur das nicht. Mit Worten hatte ich sie nicht überzeugen können.
Es blieb nur die Möglichkeit der Gewalt. Ich würde sie eben gewaltsam aus dieser Welt entfernen müssen.
»Wir gehen«, sagte ich und unternahm einen letzten Versuch, sie normal zur Vernunft zu bringen.
»Wohin?«
»Wieder dorthin, wo wir hergekommen sind. Wir beide gehören nicht hierher, sondern wieder in unsere Welt. Kannst du das denn nicht begreifen, Rhena?« Ich starrte sie an, wie jemand, der einen anderen Menschen hypnotisieren will.
Die junge Frau gab mir keine Antwort. Ihr Gesicht verschloß sich, und sie wirkte wie jemand, der erst einmal richtig über gewisse Dinge nachdenken muß.
»Das kann ich nicht, John.«
»Warum nicht?«
»Ich muß diesen Weg gehen. Wenn du bleibst und zuschaust, wirst du es verstehen…«
»Ich will es nicht verstehen, nicht, wenn du dabei dein Leben läßt, Rhena. Das ist es mir nicht wert, hast du gehört? Das ist es mir einfach nicht wert, verdammt!« Ich wollte nach ihrer Hand fassen, sie aber zog den Arm schnell zurück.
»Ich muß bleiben!«
»Nein, du nicht. Wir können wieder zurückkehren, Rhena, wenn alles vorbei ist.«
»Das Fest?« fragte ich leise.
»Was sonst?«
Rhena schüttelte den Kopf. »Du irrst dich, John. Dieses Fest wird ohne mich nicht stattfinden. Es ist lange vorbereitet worden, und ich gehöre dazu. Ich bin einfach diejenige Person, die ihm das Leben geben kann. Ich bin nicht die, als die du mich siehst. Ich bin anders, John Sinclair, ganz anders.«
»Ja, ja, ich weiß. Das kannst du mir alles erklären, wenn wir diese Welt verlassen haben.« Durch meine Worte hatte ich sie abgelenkt, denn diesmal schaffte ich es, nach ihrer Hand zu fassen, und ich zog sie auch mit einem blitzschnellen Ruck zu mir heran.
Sie war überrascht worden. Mit der Frontseite ihres Körpers fiel sie gegen mich. Ich spürte unter dem dünnen Stoff ihre Haut, sah das Gesicht dicht vor mir, wo die Augen halb geschlossen waren und schmalen Sicheln glichen.
»Damit wir uns verstehen, Rhena«, sprach ich sie direkt an. »Wir beide werden zusammenbleiben. Wir sind ab jetzt so etwas wie ein Paar, und selbst das Monster wird uns nicht trennen können. Du wirst wieder zurückkehren in die Normalität und vergessen, was hier geschehen ist. Die Zeit heilt die Wunden…«
Ihre Lippen verzogen sich. Allerdings nicht zu einem Lächeln. Der Mund zeigte Spott, als wollte sie mir klarmachen, auf welch verlorenem Posten ich stand.
Natürlich warnte mich etwas, aber ich fragte nicht mehr weiter. Diese junge Frau mußte so schnell wie möglich weg. Ich wollte sie nicht durch eine Handschelle mit mir verbinden, das empfand ich doch als etwas unwürdig, aber ich würde sie trotzdem nicht entwischen lassen.
»Du kennst den Weg, Rhena, ich kenne ihn auch. Wir werden ihn jetzt gemeinsam gehen, und ich möchte dich bitten, dich friedlich zu verhalten.«
»Du machst einen Fehler, John!«
»Das überlasse mir!«
Sekundenlang stand zwischen uns beiden das Schweigen wie eine Wand. Dann regte sich Rhena.
Sie nickte, und gab gleichzeitig ihre starre Körperhaltung auf.
»Ja, John, laß uns gehen.«
»Das wollte ich hören.«
Rhena drehte den Kopf. Sie trat zurück, und zugleich sackten ihre Schultern ab. Ein Zeichen für mich, daß sie sich gefügt hatte, was hoffentlich auch so blieb.
Ich warf dem Totenschädel im Fels noch einen letzten Blick zu. Er stand dort als ein grauenvolles Monument, das für alle Ewigkeiten gebaut worden war.
Im Maul regte sich nichts. Der Ghoul hielt sich nach wie vor zurück. Besser konnte es für mich nicht kommen, aber dem Frieden traute ich nicht. »Bitte, geh vor!«
Rhena nickte. Sie sah aus wie jemand, der sich voll und ganz in sein Schicksal ergeben hatte, doch so ganz traute ich dem Frieden nicht. Rhena war mit dieser Welt einfach zu stark verwachsen, und ich fragte mich, weshalb sie von der grauenvollen Umgebung so stark angezogen wurde. Was hielt sie überhaupt fest?
Der Ghoul selbst?
Es fiel mir verdammt schwer, dies zu glauben. Nein, sicherlich nicht er. Dieser Dämon paßte nicht zu einem Menschen, der war einfach zu widerlich, der stellte sich gegen sie und schlug nur zu, wenn er sie getötet hatte und sie brauchte.
Noch brauchte er Rhena, und sie brauchte ihn, denn grundlos hatte
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