0917 - Das Totenfest
sie bestimmt nicht sein Totenfest arrangiert.
Auch darauf würde ich noch eine Antwort bekommen, das stand für mich fest. Zunächst einmal mußten wir diese neblige Kerzen - und Leichenwelt verlassen, in der der Nebel den Geruch regelrecht aufgesaugt hatte und nicht mehr loslassen wollte.
Er war eklig, er klebte überall fest. Zwischen den unheimlichen Schleiern drängte sich das Licht der allmählich kleiner werdenden Kerzen, die jetzt wieder zwischen uns standen und sich auf den zahlreichen Vorsprüngen und Graten des terrassenförmigen, aber durchaus flachen Felsenhügels verteilten.
Der eklige Geruch raubte mir den Atem. Das Licht der Kerzen war überall vorhanden. Ich bekam es diesmal stärker mit als auf meinem Hinweg. So genau sah ich meine Umgebung nicht mehr. Die Flammen an den Dochten liefen zusammen, obwohl sie voneinander getrennt standen. Für mein Sehen bildeten sie eine Einheit, so daß ich mir vorkam wie jemand, der durch ein Meer aus Feuer schreitet.
Hin und wieder mußte ich die Augen schließen, weil ich den Eindruck hatte, daß sich die Flammen hineinbrannten. Sie schienen höhergestiegen zu sein. Von überall erfaßte mich die Wärme, das Atmen fiel mir immer schwerer, der Leichengeruch durchwehte die Luft, und träge, stinkende Nebelschwaden drückten sich mir lautlos entgegen wie seichte Tücher, die aber kein Feuer fingen.
Zum erstenmal kam mir der Gedanke, daß ich mir wohl etwas zu viel vorgenommen hatte. Ich wollte es nicht wahrhaben, aber ich ging weiter, denn diese Welt war nicht meine Welt. Da mußte ich einfach raus und wieder zurück, wo ich nicht von einem Leichengeruch umweht wurde und wieder normal atmen konnte.
Meine Knie zitterten. Ich fand den Weg mehr als beschwerlich, obwohl es bergab ging. Jeder Schritt saugte weitere Energie aus meinem Körper. Ich biß die Zähne zusammen, und meine Bewegungen kamen mir sehr langsam und träge vor.
Auch stellte ich fest, daß ich auf dem Weg nach unten schwankte. Das Meer der Kerzen schien kein Ende nehmen zu wollen. Vor mir sah ich Rhenas Körper. Sie bewegte sich normal, und sie kam mir sogar vor, als würde sie mit spielerischer Leichtigkeit über den Weg hinwegschreiten, um irgendwann in den stinkenden Nebelschwaden zu verschwinden.
Dann geschah es.
Da der Weg nicht eben war und Steine wie ein winziges Gebirge aus ihm hervorschauten, prallte ich mit der rechten Schuhspitze gegen einen der Steine. Normalerweise wäre dies kein Problem gewesen, aber diesmal war ich zu schwach, um mich halten zu können. Ich stolperte nach vorn, sah mich schon fallen und hatte den Blick dabei angehoben, weil ich meinen Schützling nicht aus den Augen lassen wollte.
Genau in diesem Augenblick drehte sich Rhena um!
Sie schien es geahnt zu haben. Für einen Moment sah ich das Lächeln auf ihrem Gesicht.
Ein höhnisches, ein kaltes Lächeln, dann aber drängte sie ihren Körper vor und schaffte es, mich aufzufangen. Ich fiel nicht, denn Rhena hielt mich mit einer erstaunlichen Kraft fest, und wir schauten uns wieder in die Augen.
»Was ist denn, John?«
Sie erwartete keine Antwort. Ich wollte sie ihr auch geben, aber mein Mund klebte zu. Er war auch ausgetrocknet. Ich lechzte nach einem Schluck Wasser, der mir aber verwehrt blieb, denn in dieser Welt schien es keine Flüssigkeit zu geben.
»Fühlst du dich nicht wohl…?«
Ich schüttelte wider besseres Wissen den Kopf.
»Aber warum denn?« höhnte sie. »Du wolltest diese Welt verlassen, John. Weggehen, zurück in deine. Warum tust du das nicht?« Sie drückte mich zurück und ließ mich gleichzeitig los.
Ich blieb stehen - aber wie!
Auf dem nachgebenden Boden schwankte ich wie das berühmte Rohr im Wind, und zum erstenmal wurde mir bewußt, daß ich mir wohl zuviel vorgenommen hatte.
Ich würde aus eigener Kraft diese Welt nicht mehr verlassen können. Ich mußte kapitulieren. Sie war stärker als ich. Trotz dieses Wissens gab ich nicht auf. Ich biß die Zähne zusammen, und mein Gesicht verzerrte sich, als ich keuchte: »Laß uns weitergehen. Schnell! Wir müssen hier raus, Rhena, wir beide!«
»Meinst du?«
»Ja, komm…«
»Gern, du kannst gehen, John, geh vor.«
Ich wehrte mich nicht, als sie mein Handgelenk festhielt und mich in ihre unmittelbare Nähe zog.
Auf dem sich senkenden Boden ging ich schneller als ich eigentlich wollte. Ich stolperte wieder, was Rhena sofort auffiel.
Sie lachte nicht, sie sagte auch nichts, sie handelte nur, denn sie zerrte mich plötzlich weiter.
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