0917 - Das Totenfest
immer konnte ich sie sehr genau beobachten und entdeckte, daß die Bestie einen menschlichen Kopf hatte. Ein altes Gesicht, zu dem die lederartige Haut paßte. Gleichzeitig wuchsen auf dem Schädel helle Haare, aber nicht überall, denn die vordere Hälfte lag frei. Die weißen Haare konzentrierten sich auf die Rückseite, wo sie lang zu den Seiten hinabfielen. Der maulartige Mund stand offen, so daß ich die zahlreichen, dicht zusammenstehenden Zähne sehen konnte. Sowohl am Ober- als auch am Unterkiefer.
Das Gesicht wirkte gedrungen und auch bösartig wegen des Ausdrucks in den Augen. Die Farbe war schlecht zu erkennen. Es konnte ein Gelb sein, aber auch ein flaches Grau, nur huschten die Lichter der Kerzen darin auf und ab und warfen Reflexe.
Ich sah auch den Körper. Ein knotiges, muskulöses Etwas. Nackt, an einigen Stellen mit dunklen Haaren versehen, ansonsten zeigte die Haut einen erdigen Ton.
Lange Hände mit krallenartigen Fingern, deren Nägel blauschwarz schimmerten. Und als sich die Gestalt bewegte, da sah ich, daß in seinem Rücken so etwas wie ein Mantel oder ein Umhang hochschwang, der von einer Seite gepackt wurde. Dann drückte die Bestie ihn um ihren Körper, als wollte sie vor mir die Blöße verdecken.
Ich stand zwischen ihr und den Kerzen und fragte mich, wie ich mich verhalten sollte. Meine rechte Hand zuckte in die Nähe der Beretta, doch ich ließ sie stecken, auch wenn mir der modrige Gestank der Bestie beinahe den Atem raubte.
Zähne, die darauf spezialisiert waren, jemanden zu reißen. Beute machen, das war wichtig, und ich dachte daran, daß ich derartige Zähne von den Ghouls her kannte.
Und Ghouls strömten auch diesen Gestank aus.
Sie waren mit die widerlichsten aller Dämonen. Sie waren die Aasfresser unter ihnen, sie hatten die Aufgabe der Geier übernommen, und die waren ebenso unersättlich.
Ich haßte die Ghouls.
Ich wußte, daß es nur eine Chance gab, sie loszuwerden. Eine Silberkugel würde reichen, denn das geweihte Silber sorgte dafür, daß sie austrockneten.
Diesmal zog ich die Waffe.
Ich richtete die Mündung auf die Gestalt, die einfach nicht zu übersehen war. Mein Finger legte sich um den Abzug. Nur zog ich ihn nicht zurück. Ich wollte sehen, wie die Bestie reagierte. Ob sie überhaupt wahrnahm, was ich da vorhatte.
Sie wartete.
Ich schoß noch nicht. Die Bestie vor mir bewegte sich. Sie riß ihr Maul noch weiter auf, und plötzlich kam mir wie ein plötzlicher Blitzstrahl die junge Frau in den Sinn, die ich hatte in diese Welt hineingehen sehen. Sie war verschwunden. War sie ein Opfer der Bestie gewesen? Ich mußte es wissen, denn nur sie konnte mich wahrscheinlich aus dieser Dimension wieder herausbringen.
Da sich Rhena nicht in der Nähe befand, war ich gezwungen, mir die Antwort von der Bestie zu holen. Die aber zog sich zurück. Sie war einfach nur erschienen, um zu schauen. Als sie genug gesehen hatte, mußte sie verschwinden.
Den Grund wußte ich nicht. Es konnte durchaus sein, daß sie sich vor meiner Waffe fürchtete, woran ich nicht so recht glauben wollte. Eher rechnete ich damit, in feindliches Terrain gelockt zu werden, in diese Totenkopfhöhle.
Das Maul hatte die Bestie rasch verschluckt. Ich stand noch draußen, zögerte auch, einen Schritt auf den Eingang zuzugehen. Statt dessen drehte ich mich um. Es hätte durchaus passieren können, daß sich jemand in meinem Rücken an mich herangeschlichen hatte, aber der Kerzenschein ließ die Umgebung verschwimmen und tauchte sie ein wie in einen See. Zumindest schwamm das helle Licht auf der Oberfläche und in halber Höhe über dem Hang hinweg.
Die Bestie blieb verschwunden. Der Schädel war ihre Höhle, er war eine Welt für sich. Möglicherweise ein magisches Tor, das verschiedene Dimensionen miteinander verband.
Kein Feuer flackerte in der Höhle. Sie war einfach nur stockfinster, aber mit einer Kraft gefüllt, vor der ich mich wiederum fürchtete. Ich merkte, wie mir ein kalter Hauch den Rücken hinablief und sich der Schweiß längst auf meiner Haut gesammelt hatte.
Rechts und links kamen mir die Vorhänge vor wie starre Wölfe, die noch irgendwelche Falten geworfen hatten.
Der Lichtstrahl blieb hinter mir zurück.
Er sah aus wie ein unruhig schwimmendes Meer, das seine wirklichen Gefahren noch verbarg.
Ich mußte in das Dunkel hinein, aber ich wollte nicht in eine Falle tappen, deshalb nahm ich die Lampe in die linke Hand und schaltete sie ein. Wie schon einmal durchschnitt der
Weitere Kostenlose Bücher