0917 - Das Totenfest
schon im unteren Bereich feststellte. Hier war der Boden nicht mehr so terrassenförmig flach. Er stieg wesentlich steiler an. Manchmal mußte ich klettern und kam mit großen Schritten weiter.
Den Totenkopf behielt ich immer im Auge. Selbst die Nebelwände konnten ihn nicht verdecken.
Es lief bisher alles nach Plan. Der Ghoul erschien ebenfalls nicht und blieb in seiner Höhle. Das Meer der Kerzen lag links von mir. Von dieser Seite her erwischte mich auch der Wärmevorhang.
Nur längst nicht mehr so stark, wie ich es gewohnt war.
Über den Geschmack in meinem Mund dachte ich erst gar nicht nach. Er war nicht zu beschreiben.
Zudem hatte ich den Eindruck, ausgetrocknet zu sein. Wahrscheinlich würde ich kaum sprechen können.
Ich atmete auf, als ich mich auf gleicher Höhe mit dem Eingang des Totenkopfmauls befand. Nur stand ich seitlich davon, schielte auch auf den Schädel und sah ihn in all seiner Scheußlichkeit.
Einen anderen Begriff fand ich dafür nicht. Dieser Schädel war einfach scheußlich, und er kam mir auch bekannt vor. Ich wußte es nicht genau, aber es stimmte, der Schädel war im Prinzip nicht neu für mich. Ich hatte ihn schon mal gesehen.
Wo?
Sehen Schädel für den Laien nicht alle gleich aus? Unterschiede gibt es bei ihnen so gut wie nicht.
Warum kam mir dann der Gedanke?
Da war das große Maul, da waren die Augenhöhlen, da war das leere Stück, an dem einmal die Nase gesessen hatte, wenn auch in seinen Ausmaßen größer, sogar riesig.
Nein, das mußte ein Irrtum sein. Ich bildete mir etwas ein. Er konnte mir nicht bekannt sein. Ich machte mir da bestimmt etwas vor.
Dennoch blieb meine Unruhe. Es war wie ein Signal, das mich plötzlich traf, und trotz der Hitze rann es mir eiskalt über den Rücken. Dieser Schädel barg ein Rätsel, das ich aber schon längst gelöst hatte. Irgendwann einmal.
Meine Güte, ich hatte schon zu oft mit irgendwelchen Knochenschädeln zu tun gehabt. Auch mit lebenden Skeletten, mit Gestalten, die auf eine magische Art und Weise funktionierten, und dieser Schädel war einfach in den Fels hineingeschlagen worden.
Ich mußte mich selbst überwinden, als ich mich vorschob und mich dem dunklen Loch von der Seite her näherte.
Mein Blick fiel jetzt über das Meer der Kerzen hinweg. Es war schon beeindruckend, was ich da zu sehen bekam. Die Welt über den Flammen schwamm im Licht, sie zitterte, waberte, und dort hinein trieben die Nebelwolken.
Was war mit dem Schädel?
Wieder schielte ich gegen ihn. Abermals konnte ich die Kälte auf dem Rücken nicht unterdrücken.
Ich hätte jetzt gern Rhena gefragt, sie aber war nicht da.
Blieb der Ghoul.
Vorausgesetzt, er war überhaupt in der Lage, sich mit Worten auszudrücken. Noch befand er sich im Totenkopf und wartete wahrscheinlich auf Rhenas Rückkehr oder mein Erscheinen.
Ich würde ihm den Gefallen tun.
Diesmal war ich nicht mehr so langsam. Mit einer Schnelligkeit überwand ich den Rest und tauchte in das finstere Maul des Totenkopfs. In der Rechten die Beretta, in der Linken meine Lampe, und urplötzlich nahm jemand mit mir Kontakt auf.
Die Stimme hörte ich in meinem Kopf. Sie war nicht laut, schien Lichtjahre entfernt zu sein, aber sie drang doch hörbar an meine Ohren, obwohl zudem noch ein Rauschen entstand, als gäbe es atmosphärische Störungen. »Willkommen in der Vergangenheit…«
Verdammt! Die Stimme kannte ich. Meine Gedanken rasten. Ich hörte das Lachen. Auch das war mir bekannt.
Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Jetzt wußte ich, woher ich die Stimme kannte.
Sie gehörte jemandem, den es nicht mehr gab.
Dem Schwarzen Tod!
***
Die Bauarbeiter vor dem Bunker waren wieder abgezogen, was Suko zufrieden registrierte. So brauchte er nicht Gefahr zu laufen, von anderer Seite beobachtet zu werden.
Beide waren ausgestiegen, und Suko ließ den unheimlichen Kerzendreher vor sich hergehen. Der hatte zwar auf der Fahrt keinen Widerstand gezeigt, aber der Inspektor wollte schon auf Nummer Sicher gehen und hielt sich hinter ihm.
»Den Weg kennen Sie ja«, sagte er.
Lee Hammer nickte. Ansonsten bewegte er sich weiter, als wären er und Suko alte Bekannte.
Die frühsommerliche Wärme hatte sich zwar nicht verabschiedet, dafür zeigte der Himmel ein graues Gewand, hinter dem sich die Sonne verabschiedete. Die Wärme war von einer drückenden Schwüle abgelöst worden, und wahrscheinlich würde es die ersten Gewitter am Abend geben, die mit Blitz, Donner und Regen die Stadt
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