0918 - Auf der Schwelle der Zeit
einem träumenden Hund. Vor ein paar Wochen war William, dem Butler, aufgefallen, dass Fooly etwas dicker und kräftiger aussah als früher. Diese Entwicklung hatte sich noch verstärkt und inzwischen wirkte der Jungdrache richtiggehend aufgedunsen.
Der Erbfolger riss den Kopf herum und funkelte Zamorra an. Seine Stimme blieb dabei aber ruhig und klang schon beinahe zerbrechlich. »Lass mich mal überlegen. Mein bester Freund liegt im Koma, sein Körper ist aufgeschwollen wie nach vier Millionen Bienenstichen, ich bekomme meine Magie nicht in den Griff, mit der ich ihn vielleicht retten könnte, und täglich werde ich mindestens fünf Mal gefragt, wie es mir geht. Ja, natürlich ist alles klar mit mir.«
»Entschuldige. War eine blöde Frage.« Zamorra trat neben den Jungen und legte ihm den Arm um die Schulter.
Rhett schüttelte den Kopf. Sein Körper schien in sich zusammenzusacken. »Ist schon gut. Ich muss mich entschuldigen. Aber… aber…« Er schluckte hart und zeigte auf Fooly. »Ich mach mir solche Sorgen um ihn. Und um mich. Warum läuft nur alles so schief?«
Zamorra seufzte. »Ich weiß es nicht.«
Der Parapsychologe fühlte sich hilflos wie selten zuvor in seinem Leben.
Rhett Saris ap Llewellyn war der Erbfolger . Das bedeutete, er würde nach seinem Tod im Körper seines Sohns weiterleben - und zwar genau ein Jahr länger als in seinem letzten Körper. Dieser Kreislauf wiederholte sich nun schon seit Zehntausenden von Jahren. In seiner derzeitigen Inkarnation waren dem Erbfolger 266 Lebensjahre beschieden.
Normalerweise erwachten die Erinnerungen an seine früheren Leben und der Zugriff auf die Llewellyn-Magie während der Pubertät. Anfangs war es bei Rhett genauso gewesen. Inzwischen hatte sich allerdings gezeigt, dass seine Entwicklung von denen seiner Vorgänger abwich.
Bryont, Rhetts Vater, hatte Zamorra einmal erzählt, dass er sich unmöglich an alle Existenzen erinnern konnte. Dazu reichte die menschliche Gehirnkapazität trotz ihrer enormen, noch weitgehend unausgeloteten Größe einfach nicht aus. Deshalb tauchten nur einige wichtige Dinge immer wieder auf, zum Beispiel die Erinnerung an die Erbfolge selbst oder an wichtige Geschehnisse aus dem letzten, vielleicht sogar dem vorletzten Leben. Aber alleine der Selbstschutz verbot stärkere Erinnerungen.
Rhett hingegen wurde immer wieder heimgesucht von Szenen aus älteren, zum Teil weit zurückliegenden Leben: Bryont, Coryn, Rheged, Sarras, Ghared. Und zuletzt die äußerst schmerzhafte Erinnerung an seine Existenz als Logan.
Der Dämon Krychnak hatte vor über zweitausend Jahren Logans komplette Familie ausgelöscht. Nur seine geliebte Selverne hatte überlebt, war nach den Ereignissen aber als seelisches und körperliches Wrack zurückgeblieben.
Aus Rhetts Erinnerungen wussten sie, dass Krychnak damit einen Plan verfolgt hatte. Welcher Plan das war, lag allerdings noch völlig im Dunkeln, da der Dämon um die Zeitenwende von der Bildfläche verschwand, bevor er sich an dessen Ausführung machen konnte. Über zweitausend Jahre lang waren die Erbfolger von dem Dämon mit der gespaltenen Unterlippe verschont geblieben. Vor vier Monaten war er allerdings zurückgekehrt.
Rhett sah Zamorra in die Augen. »Er macht weiter, als wäre er nie weg gewesen.«
»Ich verstehe nicht.«
»Krychnak. Vor seinem Verschwinden hat er meine Familie getötet. Und kaum ist er wieder hier, macht er dort weiter, wo er aufgehört hat.« Der Junge zeigte auf Fooly. Krychnak trug zwar keine unmittelbare Schuld am Zustand des Jungdrachen, doch offenbar machte das für Rhett keinen Unterschied. »Ich könnte echt kotzen vor Wut. Was will der Kerl von mir?«
»Das weiß wohl nur er selbst. Aber dieses Mal stehst du nicht alleine gegen ihn. Gemeinsam kriegen wir ihn schon klein.«
Der Erbfolger ließ ein lautes Schnauben vernehmen. »Wenn ich daran nur glauben könnte! Als Logan hatte ich echt was drauf. Trotzdem hat Krychnak meine Angriffe ohne Mühen abgewehrt. Und heute? Ab und zu bricht die Llewellyn-Magie mal durch. Aber immer nur, wenn sie will. Bewusst steuern kann ich sie schon gleich gar nicht. Voll ätzend! Wie soll ich mich so gegen einen Dämon wehren?«
»Du musst deiner Magie einfach mehr Zeit geben zu reifen.«
»Zu reifen! Quatsch! Wie lange soll ich denn noch warten? Ich bin sechzehn!«
»Gerade erst geworden.«
»Na und? In keinem Leben, an das ich mich erinnern kann, ist das so abgelaufen. Bisher war es jedes Mal eine gleichmäßige
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