0918 - Auf der Schwelle der Zeit
Erhebt euch.« Lucifuge Rofocales Tonfall war kühl und herablassend.
Die menschenähnlichen Wesen mit den langen Klauen standen auf, hielten ihre Blicke aber weiter nach unten gerichtet. Ihre nackten Körper waren übersät von unzähligen braunen, trockenen Hautlappen, die bei jeder Bewegung raschelten. Begleitet wurde dieses Geräusch von einem stetigen Knistern, das von den grünlichen Funken herrührte, die zwischen den Hautlappen hin und her huschten.
Der Ministerpräsident betrachtete sie voller Abscheu, allerdings nicht wegen des abstoßenden Äußeren der dämonischen Gestalten. Da war Lucifuge Rofocale weitaus Schlimmeres gewohnt. Vielmehr lag es an der zweifelhaften Vergangenheit der C'weten, wie sich diese fast ausgestorbene Rasse nannte.
Ein unbewusstes Zucken glitt durch seine linke Schwinge, die der Dämon Agamar einst mit einem Feuerball durchschlagen hatte. Vor vielen, vielen Jahren hatte er Lucifuge Rofocale töten und sich selbst zum Höllenherrscher erheben wollen. Dazu hatte er hochrangige Dämonen vernichtet und deren Kräfte gestohlen. Eines seiner Opfer war Galnbliict gewesen, das Oberhaupt aller C'weten.
Wie Lucifuge Rofocale später herausfand, wussten die C'weten von Agamars Plan! Nachdem sie ihr Oberhaupt verloren hatten, stellten sie Agamar zur Rede - und der köderte sie damit, wichtige Posten in der Höllenhierarchie mit C'weten besetzen zu wollen, wenn er erst einmal Ministerpräsident war.
Also schwiegen sie, statt Lucifuge Rofocale zu warnen.
Ein dummer Fehler, denn als der Herr der Hölle davon erfuhr, dankte er es ihnen damit, dass er die C'weten beinahe vollständig ausrottete.
»Ihr habt mich damals sehr enttäuscht.«
Grostaan und Sedstoom schwiegen und starrten zu Boden.
»Ihr habt mit einem Verräter paktiert.«
Sedstoom hob den Blick. »Und dafür mehr als ausreichend bezahlt!«
»Ich entscheide, ob eure Strafe ausreichend ist oder nicht!« Lucifuge Rofocales Bassstimme ließ die Hautlappen der C'weten erzittern.
Sofort senkte Sedstoom den Blick wieder. »Natürlich, Meister! Entschuldigt, Meister!«
»Aber wie ihr wisst, bin ich ein gnädiger Herrscher, nicht wahr?«
Die beiden schwiegen.
»NICHT WAHR?«
Die C'weten beeilten sich, eifrig zu nicken. »Ja, Meister. Das seid Ihr.«
»Und deshalb werde ich euch die Gelegenheit geben, eure Schande vergessen zu machen.«
»Was sollen wir tun?«
Lucifuge Rofocale lachte auf. »So gefällt ihr mir! Emsig und begierig zu dienen.« Er machte eine kleine Pause. »Ruft die kümmerlichen Reste eures Volks zusammen. Beobachtet den Erbfolger . Er wird bald einen Auserwählten zur Quelle des Lebens führen. Doch dazu lasst ihr es nicht kommen! Kurz vorher tötet ihr den Auserwählten! Aber wirklich erst kurz vorher!«
Sedstoom zuckte mit den Schultern und die Hautlappen raschelten. »Warum erst so spät? Warum nicht gleich?«
»Weil der Erbfolger dadurch umso weniger Zeit hat, einen Ersatz zu finden, du Wurm!« Wieder stieß der Ministerpräsident ein Lachen aus, das an eine Steinlawine erinnerte. »Und weil so die Erbfolge endlich unterbrochen wird!«
»Was ist denn so wichtig an der Erbfolge ?« Sedstoom sah Lucifuge Rofocale herausfordernd an. »Sie ist für die Hölle doch eher unbedeutend. Wann hat sie jemals einen wirklich gefährlichen Unsterblichen hervorgebracht? Und der Erbfolger selbst bereitet der Hölle auch nur selten Schwierigkeiten. Warum also?«
Lucifuge Rofocale knirschte mit den Zähnen. Das waren genau die Fragen, die er nicht hören wollte.
Aus seiner linken Klaue schoss ein Flammenstrahl, der Sedstoom auf der Brust traf. Die Hautlappen fingen sofort Feuer. Der C'wete gab noch ein überraschtes Quieken von sich und fiel hintüber. Sein brennender Körper zuckte zwei, drei Mal, dann lag er ruhig. Dichte schwarze Qualmwolken stiegen von ihm auf.
Der Ministerpräsident der Hölle richtete den Blick auf Grostann. »Sonst noch Fragen?«
»Nein, Meister!«
»Dann verschwinde und erfülle deinen Auftrag!«
***
Vor achtzehn Monaten
Die Sonne überzog den Himmel bereits mit einem glühenden Orangerot. In wenigen Minuten würde sie untergehen und das Schloss der nächtlichen Dunkelheit überlassen.
Anka Crentz seufzte, als sie aus dem breiten Fenster im ersten Stock sah. Sie liebte die Gegend, die sie für ihr Exil ausgewählt hatte: die raue, ungezügelte Natur, die klare Luft - und mittendrin ein wunderschönes Schloss.
Das Beste daran war natürlich, dass dieses Gemäuer voll eingerichtet und
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