0918 - Auf der Schwelle der Zeit
Entwicklung, verstehst du? Meine Vorgänger konnten jeden Tag ein kleines bisschen mehr als am Tag zuvor. Und bei mir? Null Entwicklung! Immer mal ein gewaltiger Ausbruch, das war's dann aber auch schon. Danach herrscht wieder tote Hose. Da reift nichts! Mit mir stimmt was nicht.«
Rhett drehte sich um und ging ein paar Schritte hin und her.
»Das kommt dir nur so vor«, sagte Zamorra. »Das ist in der Pubertät ganz normal, dass man sich beobachtet und mit anderen vergl…«
»Komm mir jetzt nicht mit so einem Scheiß!« Rhetts Gesicht lief knallrot an, die Hände verkrampften sich zu Fäusten. Sofort entspannte er sich wieder. »Sorry.«
»Schon gut.«
»Ich vergleiche mich nicht mit anderen. Ich vergleiche mich mit mir selbst, mit meinen früheren Leben. Und da lief es nie so bescheuert ab. Nie!«
Zamorra nickte. »Okay. Aber die Erbfolge existiert nun schon seit über zweihundert Generationen. Warum sollte sie ausgerechnet jetzt, ausgerechnet bei dir anders ablaufen?«
Der Junge blieb stehen und sah Zamorra an. Auf seinem Gesicht lag ein grimmiges Lächeln. »Matlock McCain!« Er spie den Namen förmlich aus.
Professor Zamorra runzelte die Stirn. McCain war ein geheimnisvoller Vampir mit druidischen Fähigkeiten, mit dem sie vor gut anderthalb Jahren aneinander geraten waren. Auch er war ein Gegner aus der Vergangenheit des Erbfolgers . Bereits im Jahr 939 n. Chr. hatte er versucht, die Llewellyn-Magie an sich zu reißen, um mit ihrer Hilfe zur Quelle des Lebens zu gelangen. Dem damaligen Erbfolger Ghared Saris ap Llewellyn war es jedoch gelungen, das Ritual zu unterbrechen, McCain die Erinnerung zu nehmen und ihn zu vertreiben.
Vor achtzehn Monaten war die Erinnerungsblockade zusammengebrochen. Der Vampir war bei Llewellyn-Castle aufgetaucht und hatte das Ritual mit fast elfhundert Jahren Verspätung zu Ende bringen können. Nicht einmal die M-Abwehr um das Schloss des Erbfolgers konnte ihn stoppen, da sie ihn nicht als dämonisches Wesen erkannte. Er war das neuste Mitglied im Llewellyn-Clan, wenn man so wollte. Und leider auch, wenn man es nicht so wollte. [2]
Zamorra kratzte sich am Hinterkopf. »An den habe ich ja schon ewig nicht mehr gedacht!«
»Ging mir genauso. Aber vorhin ist er mir plötzlich wieder eingefallen.«
»Du glaubst, er hat etwas damit zu tun, dass du… dass deine Entwicklung… also, dass deine Magie…«
Nun musste Rhett doch grinsen. So um Worte bemüht hatte er den Professor noch nie erlebt. »Ich weiß nicht. Könnte aber sein. Weißt du noch, dass mein älteres Ich der Meinung war, dass es schädlich für die Llewellyn-Magie sein könnte, wenn ich mich wieder an die vergangenen Ereignisse mit McCain erinnere?«
»Ja, das hast du erzählt.«
»Stimmt. Hab ich. Ich hatte allerdings voll keine Ahnung, was ich damit sagen wollte. Vielleicht hatte ich genau vor dem Angst, was gerade passiert! Matlock McCain hat meine Magie geraubt und deshalb kann sie sich bei mir nicht mehr weiterentwickeln. Wenn das nicht schädlich ist, dann weiß ich auch nicht!«
Der Meister des Übersinnlichen runzelte die Stirn und nickte. »Da könnte etwas dran sein!«
Rhett straffte sich. Plötzlich wirkte er, als sei er voller Tatendrang. »Das heißt, wir kaufen uns McCain und ich hole mir zurück, was mir gehört!«
»Dazu müssten wir erst einmal wissen, wo er steckt!«
Mit der Faust schlug sich Rhett in die andere Handfläche. »Dann suchen wir ihn eben. Oder meinst du, ich will so enden, wie mein Urahn Logan?«
»Was war denn mit dem?«
»Nach Selvernes Tod war er ein gebrochener Mann. Mit gerade mal 25 Jahren! Ich habe… er hat nie wieder Magie benutzt. Nicht ein einziges Mal! Das möchte ich auf keinen Fall!«
Zamorra stutzte. »Nicht ein einziges Mal? Musste er denn keine Magie anwenden, um einen Auserwählten zur Quelle des Lebens zu schicken?«
Rhett sah Zamorra lange in die Augen. »Stimmt. Ich dachte eigentlich, ich kann mich vollständig an Logans Leben erinnern. Mir fehlen nur die letzten paar Tage, wo der Alterungsprozess schon eingesetzt hatte. Sollte er den Auserwählten erst am Ende seines Lebens zur Quelle geführt haben?«
Zamorra zuckte mit den Schultern. »Wenn du es nicht weißt…«
»Eigenartig. Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass ich jemals so lange gewartet und damit die Erbfolge aufs Spiel gesetzt hätte. Andrerseits war Logan vom Leben echt total angepisst, da wundert es mich schon fast, dass er überhaupt einen Auserwählten zur Quelle geführt
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