0918 - Auf der Schwelle der Zeit
gegriffen und sich aufhelfen lassen.
»Ihr braucht keine Angst mehr zu haben«, hatte er gesagt. »Ihr könnt bei uns im Schloss wohnen. Da seid ihr sicher.« Dann, mit einem Blick zu Zamorra: »Können sie doch, oder?«
Nach einigem Nachdenken hatte auch der Meister des Übersinnlichen die Idee befürwortet. Bei Dylan war keine große Überzeugungsarbeit nötig gewesen, er hatte sofort zugestimmt. Anka hingegen wollte zuerst überhaupt nicht. Erst als Zamorra ihr erzählte, dass um das Château ein magischer Schutzschirm lag, willigte sie plötzlich ein.
In den folgenden Stunden hatten sie Dylans Lebensgeschichte erfahren und für einen Augenblick war Zamorra versucht, das Angebot wieder zurückzuziehen. Einem Verwandten eines Profikillers, der einst auf den Erbfolger und Zamorra angesetzt gewesen war, Unterschlupf zu gewähren, stieß Zamorra sauer auf. Dann jedoch musste er sich eingestehen, dass niemand etwas für seine Verwandtschaft konnte. Außerdem hatte Dylan etwas an sich, das den Parapsychologen an sich selbst in jungen Jahren erinnerte.
Anka hingegen gab sich schweigsam. Auf Fragen nach ihrer Vergangenheit antwortete sie ausweichend oder erzählte nur das, was sie auch schon Dylan gesagt hatte. So gab sie weder Auskunft, warum sie offenbar über magische Fähigkeiten verfügte, noch was sie in der Nähe von Llewellyn-Castle zu schaffen hatte, als der Angriff des Vampirs erfolgte. Zamorra war sich noch nicht ganz sicher, was der Grund für ihre Schweigsamkeit war. Waren die Erinnerungen zu schmerzhaft, dass sie nicht darüber reden wollte? Traute sie ihnen noch nicht genug? Oder wollte sie etwas verheimlichen?
Zamorra stellte die Kaffeetasse auf den Tisch. »Gegenfrage: Glaubst du, wir können ihr trauen?«
Rhetts Antwort kam ohne Zögern und im Brustton der Überzeugung. »Natürlich! Sie hat Dylan vom Vampirkeim befreit.«
Das stimmte. Schließlich hatte Zamorra bei seiner Heimkehr von der Quelle des Lebens etwas dieser Magie gespürt. Und sie war nicht böse gewesen! Außerdem hatte Anka die M-Abwehr nicht nur durchqueren können. Der Professor hatte vielmehr den Eindruck, dass sie sich begeistert in deren Schutz begeben hatte.
»Du hast recht. Wenn sie uns etwas besser kennengelernt hat, wird sie uns sicher mehr von sich erzählen.«
»Meinst du, ich kann ihr Fooly mal zeigen?«
»Nach all ihren Erlebnissen glaube ich nicht, dass sie der Anblick eines leibhaftigen Drachen schocken wird.«
Rhett stellte sein Cola-Glas neben die Kaffeetasse. Er ließ den Zeigefinger einige Male über den Glasrand gleiten. Dann sah er Zamorra mit ernstem Blick an. »Er ist ein Auserwählter, weißt du?«
Der Themenwechsel irritierte den Professor. »Was? Fooly?«
»Quatsch! Dylan McMour. Ich spüre etwas in ihm. Natürlich fehlt mir noch die Erfahrung, aber da ist etwas in ihm. Ich weiß auch nicht, aber er hat eine Ausstrahlung, die mich voll an deine erinnert. Also an deine, wie mein Vater… also Bryont… also ich sie in meinem vorigen Leben gespürt habe.« Er wedelte mit der Hand. »Du weißt schon.«
Zamorra zog eine Augenbraue hoch. Konnte das sein? War das Schicksal zu solchen Kapriolen fähig, dass der Neffe des Menschen, der den Erbfolger töten sollte, selbst ein Auserwählter war? Ja, dazu war es sicher fähig. Und wenn Rhett das sagte, hatte Zamorra auch keinen Grund, daran zu zweifeln.
Außerdem erklärte es auch Dylans merkwürdiges Interesse für das Übersinnliche, wenn es sich bei ihm auch anders gezeigt hatte als bei Zamorra.
»Hast du es ihm schon gesagt?«
Rhett schüttelte den Kopf. »Das hat noch Zeit. Solange ich die Llewellyn-Magie noch nicht so einsetzen kann, wie ich will, würde ich mich sowieso nicht trauen, ihn zur Quelle zu führen.«
»Verstehe. Apropos Auserwählter: Was wurde denn aus Casril?«
Der Erbfolger grinste, wurde aber sofort wieder ernst. »Entschuldige, eigentlich ist das gar nicht komisch. Na ja, aber irgendwie eben doch. Als die C'weten wieder in ihre Zeit verschwunden sind, war plötzlich die Erinnerung daran wieder da! Wie ich dir schon erzählt habe, stieg Logan den Abhang hinunter und fand die verkohlte Leiche, die Gott sei Dank ja doch nicht deine war. Gerade als er wieder oben ankam, aber noch hinter den Bäumen in Deckung stand, öffnete sich der Monolith und Casril trat daraus hervor. Er war voll aufgeregt, hat dauernd gerufen: ›Da war noch einer an der Quelle!‹. Oder so ähnlich. Und plötzlich, wie aus dem Nichts, waren die C'weten wieder da.
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