0918 - Höllen-Engel
Apparat zu. Die Wohnung gehörte Arnold Blake. Demnach mußte der Anrufer jemand sein, den Blake kannte, sicherlich einer aus der Gruppe.
Als Polizist war dem Mann auch eine gewisse Neugierde zu eigen. Sie gehörte einfach zu seinem Beruf, und deshalb bückte er sich dem Apparat entgegen und nahm den Hörer ab. Behutsam preßte er ihn ans Ohr.
Er lauschte.
Eine Stimme hörte Dan nicht. Dafür andere Geräusche im Hintergrund, die allerdings so laut waren, daß sie sich schon in den Vordergrund hineingedrängt hatten.
Harte, beinahe brutale Musik. Techno-Klänge, die Menschen aufrüttelten.
»He!«
Der Anrufer hatte gesprochen. Wahrscheinlich war er darüber irritiert, daß sich niemand gemeldet hatte.
Dan schwieg auch weiterhin.
»Arnold?«
Walcott preßte die Lippen zusammen. Er wollte einfach keine Antwort geben und den anderen locken.
Dann hörte er einen Fluch. Dan konnte sich vorstellen, daß der andere auflegen wollte, das wäre nicht gut gewesen. Deshalb gab er auch eine Antwort. »Ja, was ist denn?«
Die Worte mußten den Anrufer überrascht haben, denn zunächst sagte er nichts. Er stöhnte nur und fragte: »Bist du nicht tot?«
»Tot? Wieso…?«
»Scheiße!« gellte es in Dans Ohr. »Du bist gar nicht Arnold Blake, du verdammter Hundesohn!«
Ein weiterer Fluch folgte, dann war die Verbindung vorbei.
Aufgelegt, dachte Dan. Mist! Auch er legte den Hörer zurück auf die Gabel. Für die Dauer einiger Sekunden blieb er in seiner gebückten Haltung stehen und fragte sich, ob er etwas falsch gemacht hatte. Bisher nicht, zumindest war er sich dessen nicht bewußt. Deshalb dachte er weiterhin darüber nach, was er jetzt unternehmen sollte.
Sinclair!
Er hatte den Namen geflüstert, der plötzlich in seinen Kopf gedrungen war. Ihn hatte er alarmiert. Er mußte ihm helfen, und er mußte vor allen Dingen diese verdammte Wohnung betreten. Die Telefonnummer hatte sich Dan Walcott aufgeschrieben. Der Zettel steckte in seiner Hosentasche. Er holte ihn hervor und faltete ihn auseinander. Das Licht oberhalb der Göttin erfaßte nicht nur sie selbst, sondern auch einen Teil des Raumes. Im schwachen Licht las er die einzelnen Zahlen ab und ließ dann die Wählscheibe rotieren.
War er zu Hause oder nicht?
Er war es nicht. Es meldete sich auch kein Anrufbeantworter. Der Ruf blieb ungehört.
Dan Walcott stöhnte auf. Er war ziemlich von der Rolle und fühlte sich zum erstenmal richtig allein.
Aber so war das Leben. Es lief nicht immer alles nach Plan, und er mußte sich eine neue Möglichkeit suchen. Wenn er Sinclair nicht erreichte, mußten ihm seine Kollegen zur Seite stehen. Zumindest war es gut, wenn sie die Wohnung hier besetzten und den anderen den Zutritt verwehrten.
Er wollte wieder zum Hörer greifen und hatte den Arm bereits ausgestreckt, als ihn etwas ablenkte.
Es war ein undefinierbares Geräusch. In seiner Lage aber empfand er es als so gefährlich oder unheimlich, daß es kalt über seinen Rücken rann.
Er hatte dieses Geräusch nicht verursacht. Außer ihm war niemand in der Wohnung.
Abgesehen von der Göttin.
Aber sie bestand aus Stein - oder?
Auf einmal kippte sein Denken. Es wollte ihm nicht in den Kopf, daß diese Person die Verursacherin des Geräusches gewesen war. Eine Steinfigur?
Er drehte sich langsam und drückte sich dabei in die Höhe. Zunächst atmete er auf, als er sah, daß der Höllen-Engel seinen angestammten Platz nicht verlassen hatte. Das sah er schon als einen großen Vorteil an. Er richtete seinen Blick wieder auf die Gestalt, besonders auf das Gesicht.
Zuckte der Mund?
Bewegten sich die Augen?
Du bist verrückt. Du spinnst. Dan schalt sich selbst einen Narren. Das konnte nicht wahr sein, das war alles… Er stöhnte, aber es zog ihn hin zu ihr, als wäre der Höllen-Engel ein starker Magnet und er das Stück Eisen.
Sie schauten sich an.
Dan Walcott öffnete den Mund. Gleichzeitig verzerrte er ihn, und er sah aus wie ein Mensch, der anfangen wollte zu weinen. Das Wissen wollte er nicht akzeptieren, aber es stimmte.
Sie lebte!
Sie bewegte sich nicht, das Leben zeigte sich bei ihr anders, denn es lag in ihren Augen. Sie zuckten, sie rollten, und plötzlich öffnete sich auch der Mund.
Er konnte nicht mehr akzeptieren, daß die vollen Lippen aus glattem Stein bestanden, denn sie hatte plötzlich etwas Menschliches bekommen.
Zwischen ihnen waren auch die Lücken entstanden, und abermals wehte ihm das Geräusch entgegen, das seinen Ursprung in den Tiefen dieser
Weitere Kostenlose Bücher