092 - Schreie aus dem Sarg
sie zu spät gekommen; die Seele des Mannes hatte ihren Weg in die Dimensionen des Todes bereits angetreten. Ihr Glück war nur, daß George Quinn zeit seines Lebens ein schlechter Mann gewesen war. So hatte sie seine Seele der Hölle wieder entreißen können. Denn nur wenn der Mann durch ihren Dolch starb, würde er zum Untoten werden.
»George Quinn?« Laut und scharf wehte ihre Stimme heran.
Der Mann ließ seine Frau los und drehte sich langsam um. Die rothaarige Schöne kam näher. Die Szene erstarrte. Keiner ahnte, was Yora vorhatte. Alle schauten sie nur gebannt an. Was wollte das Mädchen in diesem merkwürdig bestickten Gewand von George Quinn?
Sie ging auf ihn zu. Er stand unsicher auf den Beinen, hielt sich an einem Grabstein fest.
Yora trat vor ihn hin.
»Wer sind Sie?« fragte Quinn. »Ich kenne Sie nicht.«
Es war eine ganz und gar unwirkliche Situation.
»Ich bin Yora, und ich bin hier, um dich zu töten«, sagte das Mädchen mit dem Seelendolch frostig.
Die Umstehenden dachten, sich verhört zu haben. Die Rothaarige mußte wahnsinnig sein. Hatte sie tatsächlich gesagt, sie wäre hier, um ihn zu töten?
Es war kein Irrtum!
Alle sahen den Dolch in Yoras Händen. Der Mann, der eben noch scheintot gewesen war, würde gleich wirklich tot sein. Die Trauergäste waren dermaßen durcheinander, daß sie nicht auf die Idee kamen, Quinn beizustehen.
Yora blickte dem Opfer fest in die Augen, und in der nächsten Sekunde tat sie, weshalb sie gekommen war.
Die Trauergäste ergriffen die Flucht. Ein heilloses Durcheinander herrschte mit einemmal. Eine Frau wäre beinahe ins offene Grab gestoßen worden. Die Leute stoben kopflos auseinander.
Auch Mildred Quinn und Barry McQuaide flüchteten. McQuaide riß die Witwe - nun war sie es wieder - hinter einen Grabstein. Er preßte sich gegen den kalten Marmor und drückte Mildred fest an sich.
Sie weinte und zitterte schrecklich.
Keiner verfolgte, was weiter passierte. Alle trachteten nur, sich so rasch wie möglich in Sicherheit zu bringen. Auch der Totengräber und seine Gehilfen.
Jedermann hatte Angst vor dieser Geistesgestörten, die sich Yora genannt hatte. Als sich die Aufregung legte, als die ersten den Mut aufbrachten, nach George Quinn zu sehen, konnten sie nur noch feststellen, daß er nicht mehr da war.
George Quinn war verschwunden!
Yora mußte den Toten verschleppt haben.
***
»… kam es heute vormittag auf dem Holy Cross Cemetery zu einem schrecklichen Ereignis«, sagte der Radiosprecher.
»Silver, ich…« sagte die eintretende Vicky Bonney.
Doch der Ex-Dämon hob rasch die Hand und machte »Pst!« Die blonde Schriftstellerin verstummte sogleich. Mr. Silver sprang auf und drehte das Radio etwas lauter.
»… wäre ein Mann namens George Quinn beinahe lebendig begraben worden«, berichtete der Sprecher.
»Entsetzlich«, entfuhr es Vicky.
»Der scheintote Mann wachte gerade noch rechtzeitig auf, um aus dem Sarg geholt zu werden, doch er überlebte seine Rettung nur wenige Minuten. Ein offenbar geisteskrankes Mädchen, das sich selbst Yora nannte, tauchte plötzlich auf und ermordete Quinn mit einem Dolch. In der allgemeinen Panik, die das Mädchen damit auslöste, konnte sie unbehelligt entkommen. Aber auch George Quinns Leiche ist verschwunden. Nach Täterin und Opfer wird gefahndet. Quinn war ein polizeibekannter Juwelendieb. Über ›Yora‹ liegen zur Zeit keine weiteren Angaben vor. Sie ist rothaarig…«
Es folgte eine präzise Beschreibung, und abschließend sagte der Sprecher, wohin zweckdienliche Angaben zu richten seien.
Mr. Silver wies auf das Radio. »Hast du das mitgekriegt?«
Vicky Bonney nickte. »Yora ist wieder mal da.«
»Ein Mann wird beinahe lebendig begraben. Es paßt Yora nicht, daß er gerettet wird, deshalb erscheint sie auf dem Friedhof und macht Nägel mit Köpfen. Jetzt ist Quinn wirklich tot. Gleichzeitig aber auch nicht, denn Yora hat ihn mit ihrem Seelendolch zum Zombie gemacht. Die Polizei wird es nicht leicht haben, mit ihm fertigzuwerden, wenn sie ihn findet.«
Vicky Bonney war wegen Tony Ballard beunruhigt. Er hatte das Haus gestern verlassen und war noch nicht wieder zurückgekommen.
Terence Pasquanells Schicksal hatte ihn erschüttert. Vicky hatte eingesehen, daß Tony Zeit brauchte, um diesen Schock zu verarbeiten.
»Wirst du dich an die Polizei wenden?« fragte die Schriftstellerin.
»Wegen Yora?« frage der Ex-Dämon zurück. »Ich glaube nicht, daß das viel Sinn hätte. Vielleicht
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