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0920 - Welt der Stille

0920 - Welt der Stille

Titel: 0920 - Welt der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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die Hosentasche und brachte sein Messer hervor. Dann begab er sich hinter den Mann und machte sich an die Arbeit. »Mein Name ist Heinrich Delorme. Wer seid Ihr?«
    »Zamorra«, sagte der Fremde leise. »Ich… ich komme aus Frankreich.«
    Heinrich stutzte. »Dann seid Ihr der Mann, von dem der Meister gesprochen hat? Derjenige, der eines Nachts hier erschien, um Gensfleisch aufzumuntern? Er berichtete von Euch, doch ich habe ihm nicht geglaubt.« Mit geübten Handgriffen zertrennte er die Stricke, die den Franzosen hielten.
    Dieser nickte.
    »Und habt Ihr vielleicht meine Verlobte gesehen?« Mit wenigen Worten beschrieb Heinrich seine Partnerin. Der Mann nickte abermals.
    Dann war Zamorra frei. Seufzend erhob er sich und rieb sich die schmerzenden Gelenke. »Lasst uns abhauen«, flüsterte er. »Erklärungen können warten. Nur weg hier, raus.«
    ***
    Der Rhein sah aus wie ein Silberfaden auf einem schwarzen Untergrund. Vom fahlen Licht des Mondes beschienen, schlängelte er sich durch das Tal, vorbei an der Domstadt und ihren schlafenden Bewohnern, wie jede Nacht. Das Wasser plätscherte leise, beruhigend. Ignorant gegenüber der Tatsache, dass sich nur wenige Hundert Meter vom Ufer entfernt doch gerade das Schicksal der Welt entschied.
    Eine Entscheidung, bei der Professor Zamorra noch ein gehöriges Wörtchen mitzureden gedachte. Das hieß, sobald er wieder Luft bekam.
    Keuchend und japsend kamen der Meister des Übersinnlichen und sein jugendlicher Retter am Ufer zum Stehen. Sie waren gerannt, als wäre LUZIFER persönlich an ihren Fersen, die Christophstraße hinunter und zum Fluss, fort von Gensfleischs Werkstatt des Grauens, in der der Slissak wartete und der wohl berühmteste Sohn dieser Stadt die Weichen für das Ende der Zukunft legte. Immer wieder hatten sie sich umgesehen. Kam ihnen auch niemand nach? Liefen sie nicht ungewollt Dandrono über den Weg, der sich ebenfalls irgendwo da draußen befinden musste?
    Aber nein, die Luft war rein gewesen, und die ungleichen Männer hatten den Rhein ungehindert erreicht. »Wo… wo ist sie?«, fragte Heinrich keuchend, und Zamorra verstand sofort. Er meinte das Mädchen.
    Nickend trat er einen Schritt auf den Jungen zu, legte ihm die noch immer schmerzende Hand auf die Schulter. »Fort«, sagte er leise. »Dandrono hat sie verzaubert, sie aus der Wirklichkeit entfernt.«
    Fast erwartete er, ungläubiges Kopfschütteln als Erwiderung zu bekommen, doch Heinrich schluckte nur und sah Zamorra aus schreckgeweiteten Augen an. »Der dunkle Mann?«
    Hast wohl auch schon deinen Teil an Unerklärlichem gesehen, Kleiner. »Genau der«, bestätigte Zamorra. »Allerdings ist er nicht direkt ein Mann, kein Mensch wie wir. Er stammt aus einer anderen Welt und ist hier, um sich die unsere Untertan zu machen. Mit Gensfleischs Hilfe.«
    Heinrich wandte sich ab. Schweigend starrte er auf die Wasseroberfläche, sah dem Spiel der Wellen und des Windes zu, das sich jeden Tag und jede Nacht aufs Neue wiederholte. »Also ist sie tot«, sagte er leise, und es klang, als sei für ihn gerade eine Welt zusammengebrochen.
    Verständlich, fand der Professor. »Nicht unbedingt«, widersprach er. »Ich… Sagen wir, ich habe eine gewisse Erfahrung im Umgang mit Dandrono und seinen besonderen Kräften. Deshalb kann und will ich nicht ausschließen, dass Eure Verlobte noch lebt.«
    Statt einer Antwort erntete er ein lustloses Schnauben. »Und wenn schon. Ihr selbst habt gesagt, er habe sie aus der Wirklichkeit entfernt. Was nutzt es mir, sie in einer fremden Welt zu wissen, wenn ich nicht hin kann, um sie von dort zu befreien?«
    Vorausgesetzt, meine Hoffnung trügt nicht, und er hat sie tatsächlich in seine Nebelsphäre gebannt. »Lasst das ruhig meine Sorge sein, Heinrich. Ich war schon einmal in dieser Welt. Wer sagt, dass ich den Weg dorthin kein zweites Mal finde?«
    Endlich drehte sich der Junge wieder um. In seinen Augen leuchtete ein Funke, den Zamorra nur zu gut kannte. Er hieß Hoffnung.
    In groben Zügen berichtete der Professor seinem Retter, was dieser wissen musste, um die Dringlichkeit der Situation zu verstehen. Mehrmals fürchtete er dabei, das Fassungsvermögen und die Akzeptanzschwelle seines Gegenübers zu überfordern; Heinrich jedoch lauschte aufmerksam und überraschend gefasst selbst den haarsträubendsten Wahrheiten, die der Meister des Übersinnlichen mit ihm teilte.
    »Also stammt Ihr nicht aus unserer Zeit«, sagte er leise, als Zamorra geendet hatte. Der kühle

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