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0920 - Welt der Stille

0920 - Welt der Stille

Titel: 0920 - Welt der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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blickte, konnte sie in der dichten Suppe nichts ausmachen. Hier und da hatte sie den Eindruck, klobige Schatten in der Ferne zu sehen, die Häuser sein mochten, doch war sie sich nicht sicher, ob dies der Realität entsprach oder nur Illusion war, welche ihr überreizter Verstand ihr vorgaukelte. Wunschdenken.
    Überhaupt: Realität. Das hier war nicht die Wirklichkeit, davon war Josephine instinktiv überzeugt. Mit der Welt, in die sie gehörte, hatte dieser Ort nichts gemein, wo immer er auch sein mochte. Sie hätte nicht sagen können, woher sie die Überzeugung nahm, und doch wusste sie einfach, dass sie damit recht hatte. Sie war nicht länger Teil der Realität. Zumindest nicht der, die sie kannte.
    Und sie war allein. So sehr sich die junge Frau auch anstrengte, konnte sie keinen Laut, kein Geräusch ausmachen, außer ihrem eigenen keuchenden Atmen, dem Pochen des Blutes in ihren Ohren und dem leisen Wimmern, das über ihre Lippen kam und das sie nicht abstellen konnte. Da war kein Vogelgezwitscher, kein Rauschen des Windes - nur Stille. Wie ein Ort, an dem die Zeit stehen geblieben war.
    Für einen Moment sank Josi auf die Knie, schlang die Arme um sich und wiegte sich sanft vor und zurück. Sie wollte das nicht, wollte nicht hier sein, ohne Hilfe und in der Fremde. Sie fühlte sich blind in diesem Nebel, taub und… ja, und vergessen.
    Steh auf, Mädchen , rief sie sich gedanklich zur Ordnung. Du musst dir einen Weg zurück suchen. Steh auf und geh. Wer weiß, was da draußen auf dich wartet?
    Ihre Hände zitterten, als sie sich aufrichtete. Zögerlich und mit nach den Seiten ausgestreckten Armen machte Jösi einen Schritt, dann noch einen. Hinein in den Nebel.
    Plötzlich war der Schatten da! Lang und schwarz, meterhoch - und er war schnell. Lautlos huschte er durch den Dunst, eilte auf sie zu, und noch bevor die Winzertochter ihn überhaupt richtig bemerkt hatte, brach er auch schon durch die Schwaden.
    Es war… ein Greifarm. Ein abscheulicher, schleimiger und schuppiger Tentakel, dick wie ein Oberschenkel und mit kleinen Saugnäpfen bestückt, die sich öffneten und schlossen. Wie gierige Mäuler in einem Gesicht ohne Augen.
    Josephine schrie laut auf, duckte sich zur Seite und rannte. Nur fort von diesem Monster, das da im Nebel auf sie wartete. Fort von dem Grauen. Dann berührte etwas Kaltes sie am Bein.
    Als sie hinabblickte, setzte ihr Herz für einen Augenblick aus. Die Spitze des Greifarms strich durch die Luft, etwa eine Handbreit über dem Boden. Tastend, suchend. Und nun hatte sie ihren linken Unterschenkel gefunden. Der Tentakel strich über den weißen Kniestrumpf unter dem Saum ihres Kleides.
    Der Schock über den Anblick ließ Josephine inne halten. Stocksteif stand sie da, regungslos wie eine Puppe. Sie wagte es kaum zu atmen. Mit einem Mal hörte sie ein Schnaufen, wie von einem großen, schweren Raubtier. Es ließ ihr die Haare zu Berge stehen, und es kam näher. Ein kalter Schauer lief der jungen Frau über den Rücken. Oh, was immer da auch war - es hatte sie gehört. Es wusste , dass sie da war!
    Und wenn sie nicht schnell handelte, das war so sicher wie das Amen in der Kirche, würde es sie holen.
    Mit dem Mut der Verzweiflung riss sich Josephine Becker aus ihrer Starre. Sie hob das Bein, sprang über den Tentakel, und dann rannte sie einfach drauflos. Ohne Ziel, ohne Richtung, einfach nur weiter. Tränen der Verzweiflung rannen ihr übers Gesicht, und doch zwang sie sich, den Mund geschlossen zu halten. Nur kein Laut, kein Geräusch!
    Irgendwann - sie wusste selbst nicht, wie lange sie schon gelaufen war - teilte sich der Dunst vor ihr und machte den Blick auf ein Bild frei, das bald noch unglaublicher war, wie das Ungeheuer aus dem Nebel hinter ihr. Josi sah Gebäude, eine Menge an Häusern unterschiedlichster Größe und Bauart, die wie Relikte einer vergessenen Kultur aus den Schwaden ragten. Sie sah Häuser aus Stein und Glas neben schlichten Lehmhütten und Bretterbuden stehen, meterhohe Türme neben Holzhütten, rechteckige Wohnblöcke hinter Palästen. Eine rechte Schulbildung hatte Josephine nie genossen, und doch sagte ihr eine innere Stimme, dass sie es mit Gebäuden aus verschiedenen Epochen der Menschheit zu tun hatte. Dort stand eine Villa im Stil der Römer, da ein Turm einer Burg, hier ein Köhlerverschlag, wie man ihn im Wald finden würde. Altmodische Bauwerke, futuristisch anmutende Gebilde… Alle sahen aus, als wären sie eben erst errichtet worden. Und als

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