0921 - Totengrinsen
Gefühl? Nein, wohl nicht. Sie sah die Schwäche eher als einen Zustand an!
Jane schwankte leicht, als hätte sie Knie aus Gummi.
Dann ging sie weiter. Obwohl sie den Boden berührte, kam es ihr vor, als würde sie neben sich selbst hergehen oder sogar schweben. Hineinsegeln in eine andere Dimension. Sie biß sich auf die Lippen.
Schmeckte sie Blut?
Jane ging weiter. Eine alte Frau, deren Beine immer schwerer wurden. Sie sah ihren Wagen, der noch immer dort stand, wo sie ihn abgestellt hatte. Nur wenige Meter, trotzdem kam ihr die Strecke so verdammt lang vor.
Sie quälte sich weiter.
Verdammt noch mal! sagte sie sich. Du wirst doch nicht krank, und du bist auch nicht krank.
Weiter.
Die nächsten Schritte.
Schuhe, die über den Boden schleiften. Jane biß die Zähne zusammen. Ihr Blick glitt in die Höhe, zu den Kronen der Laubbäume. Das Sonnenlicht funkelte dazwischen.
Der Golf war nicht mehr weit entfernt. Eine lächerliche Distanz, die sie locker hinter sich bringen konnte. Im Notfall, aber nicht hier, nicht an diesem Tag.
Heute war alles anders. Da fühlte sich die Detektivin wie eine Kranke. Am liebsten hätte sie sich auch in ein kühles Bett gelegt und geschlafen.
Ihr Herz schlug wahnsinnig schnell. Sie atmete nicht mehr, sie keuchte nur noch.
Der Wagen.
Verflixt, sie wollte ihn erreichen, obwohl sie genau wußte, daß sie ihn nicht würde starten können.
Wer sich so fühlte wie sie, der durfte auf keinen Fall am Verkehr teilnehmen. Sie mußte die Chance erhalten, sich auszuruhen. Neben den Wagen setzen, wo auch mehr Schatten war als auf diesem verdammten Weg.
Drei, vier Schritte noch.
Jane ging, nein, sie schlurfte. Ihr Herz hämmerte wie irre. Die einzelnen Schläge wirkten wie schwere Treffer oder Boxhiebe, die ihre Brust erwischten.
Schaffe ich es?
Jane glaubte laut zu schreien. Zumindest hatte sie den Mund weit aufgerissen. Ihr Gang verdiente den Namen nicht mehr, er glich einem Schwanken. Die sie umgebenden Geräusche hörte sie kaum noch. In ihrem Kopf war ein Brausen und Brummen entstanden, und sie hatte das Gefühl, ihre Schädeldecke würde platzen.
Dann gaben die Beine nach.
Es war kein Halten mehr. Jane kippte nach vorn, und während sie fiel, drehte sich die Welt. Aber nur für einen Augenblick. Als Jane Collins gegen den Wagen schlug, da trafen in ihr Schmerz und Dunkelheit brutal zusammen.
Jane Collins wußte nichts mehr.
Wie tot blieb sie liegen…
***
Nathan war nervös.
Er hatte sich erhoben, weil er es auf seinem Bett nicht mehr ausgehalten hatte. Er ging durch sein Zimmer - mehr eine Zelle - räusperte sich einige Male, dachte darüber nach, was er als nächstes unternehmen sollte und gelangte zu dem Entschluß, daß ihm kaum Chancen blieben. Es gab ja nur diesen Raum, dieses verfluchte Gefängnis, das ihm sonst nie viel ausgemacht hatte, dafür zu diesem Zeitpunkt, und voller Wut trat er gegen die Wand.
Er spürte den Schmerz im Fuß, drehte sich um, trat auf, der Schmerz blieb und erinnerte ihn daran, daß er nicht träumte. Er träumte weder die Realität noch das, was sich seit einiger Zeit in seinem Kopf abspielte und so etwas wie ein negatives Gedankenkarussell war.
Da drehte sich einiges.
Aber vieles war nicht in Ordnung!
Etwas war aus den Fugen geraten, und darüber regte sich Nathan auf. Er packte es nicht, daß in der Ferne was geschah, das er nicht unter Kontrolle bekam.
Zumindest dann nicht, wenn er aufgeregt war.
Nathan drehte sich. Von der hellen Wand weg ging er wieder zurück zu seiner Liege.
Auf dem Weg dorthin verzog sich sein glattes Gesicht. Er zeigte, daß es auch Falten werfen konnte, und aus dem Mund drang ein raubtierhaftes Knurren.
Er schwitzte stark. Er haßte plötzlich das Fenster, dessen Ausschnitt so grell war, weil die Sonne direkt darauf stand. Ihm kam das Licht jetzt brutal und störend vor. Diese Helligkeit war nicht die seine, er war eine andere gewohnt.
Deshalb hob er beide Hände an und hielt sie vor sein Gesicht, um sich gegen die Strahlen abzuschirmen. Sein Kopf bewegte sich, als er den Schatten suchte, in dessen Schutz er sich hineindrücken konnte. Der war hier kaum vorhanden.
Trotzdem duckte er sich und fand seinen Platz zwischen Bett und Wand. Mit dem Rücken lehnte er sich an. Die Beine hatte er angezogen, mit seinen Händen umklammerte er die Knie. Die Augen waren jetzt weit geöffnet. Er schaute nach vorn, aber sein Blick war ins Leere gerichtet. Gleichzeitig sah er suchend aus, als wäre Nathan dabei, nach
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