0921 - Totengrinsen
Nathan genannt«, drang es flüsternd aus dem breiten, halb offenen Totenmund.
»Einfach Nathan, und man hat Nathan unterschätzt, weißt du…?«
»Jetzt schon.«
»Man hat nicht gewußt, daß ich die Menschen nur getötet habe, um sie in den Tunnel zu locken. Man hat mich als einen Wahnsinnigen angesehen, aber das bin ich nicht gewesen. Ich war ein Stück weiter als sie, viel weiter. Ich brauchte den Tunnel, um meinem Ziel näher zu kommen. Ich wollte die Strecke zwischen dem Leben und dem endgültigen Tod beherrschen. Viele Menschen haben davon gesprochen. Vieles wurde erzählt und auch niedergeschrieben. Die Menschen haben die Wahrheit erlebt, aber in meinem Kanal erleben sie eine andere Wahrheit. Ich pendelte zwischen dem Jenseits und dem Diesseits, wo ich der Herrscher bin, wie du selbst erleben konntest. Ich habe dich bekommen, ich werde dich nicht wieder hergeben, denn jetzt bist du in meinem Netz gefangen.«
Jane hielt den Mund. Sie wußte nicht mehr, was sie antworten sollte. Sie wartete deshalb auf die nächste Frage des Gesichts, in dem sich plötzlich die Nasenflügel zitternd bewegten.
»Was denkst du?«
»Ich? Nichts mehr!«
»Bist du tot?«
»Ich weiß es nicht.«
»Nein, du bist noch nicht ganz tot, aber ich werde dafür sorgen, das versichere ich dir. Ich werde dich totmachen, denn ich werde dich auch in deiner Welt finden. Ich weiß, wo sich dein Körper befindet, und ich töte ihn.«
»Was ist denn überhaupt mit mir geschehen?«
»Es war die Vorstufe. Du bist klinisch tot. Ich habe dich überrascht. Ich habe dir meine Kräfte entgegengeschickt. Ich habe dich mit meinem Geist erfüllt, denn ich konnte dich beobachten. Nathan ist gut, Nathan ist besser als die Menschen, er ist göttergleich. Das haben die Menschen noch nicht begriffen. Es ist kein Arzt in deiner unmittelbaren Nähe, der dich aus deinem Zustand herausholen könnte. Man wird es versuchen, das weiß ich, man wird dich in das nahe Krankenhaus schaffen, man wird alles tun, aber diesmal ist viel Zeit vergangen, sehr viel…«
Jane hörte ihn lachen. Seine Zunge schlug im Mund wie ein hektisches Pendel auf und nieder.
Und plötzlich fühlte sie sich unsagbar verlassen…
***
Wir hatten Janes starren Körper hochgenommen und auf den Rücksitz des Golfs gelegt. Der Ausdruck in ihrem Gesicht hatte sich nicht verändert. Nach wie vor unterschied er sich nicht von dem einer Toten. So starr, so glanzlos, und ich traute mich nicht mal, in das Gesicht zu blicken, weil ich den Ausdruck ihrer Augen einfach nicht ertragen konnte. Da lag eine tote Frau vor uns.
Oder?
War sie tatsächlich tot? Hatte eine Person wie Jane Collins, die man durchaus als gesund ansehen konnte, einen Herzschlag bekommen?
Alles wies eigentlich darauf hin, und trotzdem stellte ich mir die Frage, ob das überhaupt möglich war. Immerhin trug Jane ein Kunstherz. Okay, es war in dieser Stadt verflucht heiß und schwül geworden. London erstickte fast unter der Glocke, und es gab auch zahlreiche Menschen, die dieses Wetter nicht vertragen konnten, die hohen Ozonwerte eingeschlossen, aber das waren meist ältere Personen.
Trotzdem, Jane war zusammengebrochen und lag nun wie tot in ihrem Wagen. Suko und ich kamen uns wie betäubt vor und dachten darüber nach, was wir noch tun konnten. Okay, das Krankenhaus lag in der Nähe. Es wäre ein Leichtes gewesen, Jane Collins dorthin zu schaffen, aber daran wollten wir nicht denken. Zumindest hatte es keiner von uns ausgesprochen.
Suko und ich standen neben dem Wagen zusammen und starrten ins Leere. Wir hingen unseren Gedanken nach, suchten dabei nach einer Chance und spürten den Schweiß auf unseren Körpern.
Die Sonne brannte nach wie vor erbarmungslos vom Himmel. Meine Kehle war trocken und rauh zugleich. Die Zunge lag wie ein dicker Klumpen im Rachen, und ich lechzte nach einem Schluck Wasser.
»Sie ist nicht tot«, sagte Suko plötzlich.
Ich schaute hoch. »Wie kommst du darauf?«
»Weil ich es einfach nicht glaube!«
»Ach, so leicht machst du es dir…?«
»Moment, John, das ist nicht der Fall, aber ich weiß, daß sie nicht tot ist. Mit ihr muß etwas anderes passiert sein.«
Ich blickte Suko nicht an, sondern schaute über den Parkplatz hinweg, als ich über seine Vermutungen nachdachte. Ich sah einen älteren Mann ankommen, der mit gesenktem Kopf und schwitzend auf sein Fahrzeug zuging, die Türen öffnete und zunächst einmal Durchzug machte, um den Hitzestau aus dem Auto zu vertreiben.
»Was müßte
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