0923 - Die Henkerin
Stadt setzte ihm arg zu.«
»Das kann ich gut verstehen.«
»Dann ist er noch nicht eingetroffen?«
»Nein, das sagte ich dir, John. Aber jetzt möchte ich von dir wissen, was wirklich passiert ist. Du kannst mich nicht hinters Licht führen. Da hat es doch Ärger gegeben.«
»Ein wenig.«
»Mit Godwin?«
»Nicht direkt mit ihm. Er hat nur etwas entdeckt, das mit seiner Vergangenheit zu tun hat.«
»Was denn?«
»Ich gebe dir eine Antwort. Allerdings nur in Stichworten, denn ich habe wirklich keine Zeit, wie du sicherlich verstehen wirst, Abbé.« Er hörte zu, und als ich fertig war, da schnaufte er durch den Hörer.
»Himmel, das kann ins Auge gehen.«
»Stimmt. Deshalb muß ich mich beeilen.«
»Soll ich…?«
»Nein, Abbé, nein. Das habe ich verbockt, und ich werde die Kastanien aus dem Feuer holen.«
»Zieh aber Handschuhe an, John.«
Bei Tanner bedankte ich mich für das Telefon, dann verabschiedete ich mich von ihm. Er drückte mir die Hand. »Sieh zu, daß du die Henkerin stellst. Und wenn du Hilfe brauchst, sag es jetzt, wir machen mit.«
»Nein, da muß ich durch. Diese Person ist kein normaler Mensch mehr. Sie wird deshalb auch nicht so leicht zu fassen sein. Aber darüber reden wir später.«
»Wie kommst du dorthin?«
»Mit einem Taxi…«
***
Und ein Taxi hatte sich auch der Bretone genommen, der gar nicht daran gedacht hatte, in das Hotel zurückzufahren und mit dem Abbé zu sprechen. Er fühlte sich nicht gut. Selbstzweifel quälten ihn, und er gab sich indirekt die Schuld an den Taten der Henkerin. Hätte er sie damals auf eine andere Art und Weise vernichtet und wäre er nicht weggelaufen, dann wäre dieses Grauen nicht passiert. Er konnte sich auch keinen Grund für die Taten vorstellen. Sie waren einfach zu sinnlos, aber sie hatte möglicherweise ein Motiv besessen.
Bis zur Tooley Street war es nicht weit, und der Fahrer hatte kein glückliches Gesicht gemacht.
De Salier zahlte und stieg aus. Es war schon relativ spät für einen ausgedehnten Besuch.
Dementsprechend kurz war auch die Schlange vor dem Eingang, das heißt, sie bestand aus zwei Jugendlichen, die Rucksäcke auf ihren Rücken trugen.
Godwin stellte sich hinter sie und las die Schilder. Man warnte Eltern davor, ihre Kinder mitzunehmen, aber es gab auch reißerisch aufgemachte Texte, die die Besucher antörnen sollten.
Die britische Geschichte wurde auf eine etwas ungewöhnliche Art und Weise glorifiziert. Er las überunheimliche Gewölbe in denen lebensgroße Szenen von Königen, Bürgern, Bettelleuten und Dieben nachgestellt worden waren. Der Besucher konnte die schrecklichen Legenden erleben, die das frühe Mittelalter bestimmten, aber auch die Reformationszeit, die Folterqualen im Tower, Hexerei und Dämonologie. Die Kraft des Teufels war überall vorhanden, und bestimmte Beleuchtungseffekte sorgten dafür, daß sich jeder Besucher so richtig in die andere Zeit zurückversetzen konnte.
Wäre es nicht so ernst gewesen, hätte de Salier darüber gelacht, aber das konnte er nicht, auch wenn er aus einer Zeit stammte, die in diesem Gewölbe nachgestellt worden waren.
Die beiden Rucksacktouristen waren verschwunden. Er trat an die Kasse heran, kaufte eine Karte und stellte eine Frage, als er das Wechselgeld einstrich.
»Können Sie mir sagen, Sir, wo ich die Henkerin finde?«
Der Mann, der sich durch die Ansprache geschmeichelt fühlte, runzelte die schweißbedeckte Stirn.
»Welche Henkerin? Davon gibt es mehrere. Und jede ist einmalig.«
»Die mit der Machete.«
»Hm.« Er überlegte. »Mehr wissen Sie nicht?«
»Na ja.« Er räusperte sich. »Sie - sie ist fast nackt. Sie hat auch eine Maske auf, und sie ist mit einer Machete bewaffnet.«
Der Mann hinter der Kasse grinste. »Du stehst wohl auf so etwas, wie?«
»Bitte?« Godwin schüttelte den Kopf. »Ich begreife Sie nicht so ganz. Was soll das?«
»Schon gut. Aber ich weiß, wen Sie meinen. Das ist die wilde Carlotta: Wir haben Sie so genannt.«
»Richtig, so lautet ihr Name.«
»Die sieht aber nicht so schlimm aus.«
»Ich weiß, und darum geht es mir auch nicht. Ich möchte sie nur sehen. Ich schreibe über die Vergangenheit, und da hole ich mir die Informationen überall her.«
»Das ist auch vernünftig. Wenn Sie Carlotta sehen wollen, müssen Sie gut zu Fuß sein.«
»Bin ich.«
»Sie steht ziemlich weit hinten. Gehen Sie am besten ganz durch.«
»Danke.«
»Keine Ursache. Beeilen Sie sich aber, wir schließen bald.«
»Klar, ich
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