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0923 - Ice Road Shockers

0923 - Ice Road Shockers

Titel: 0923 - Ice Road Shockers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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die Augen.
    »Du weißt, was du zu tun hast, Kleiner«, sagte der Mann und legte ihm die Hand auf die Schulter. Eine einstudierte väterliche Geste, mit der die Show meistens begann.
    Oh ja, das wusste Bill. Zu oft schon hatten sie dieses Spielchen getrieben, als das er es nicht im Schlaf beherrscht hätte. Reingehen, mitleiderregend mit den Augen klimpern, ein wenig auf den »armen, armen Jungen«, deuten und dann sehen, was abfiel. Wenn gar nichts ging und die verfügbare Barschaft einen Starteinsatz rechtfertigte, wurde eben mit der Dorfbevölkerung gepokert. Wobei Bill die Aufgabe zufiel, mit Wort und Tat darauf zu achten, dass die anderen Mitspieler nicht bemerkten, wie plump der Mann sie über den Tisch zog. »Engelsgesicht«, hatte der Mann ihn einmal genannt, nachdem er besonders guten Gewinn gemacht hatte. »Deiner Indianerfresse glauben die Idioten hier oben auch wirklich alles, Kid.« Auf die ein- oder andere Weise hatten sie sich so noch jede Mahlzeit verdient.
    Sie standen vor dem Saloon, und der Mann räusperte sich leise. »Und spar dir dein Eingeborenengerede, klar?« Diese Warnung brachte er jedes Mal und strich dabei scheinbar beiläufig über das Messer, das ihm in einem ledernen Etui vom Gürtel hing. Der Mann war ein Weißer, ein Fremder von südlich der Grenze zu den USA. Und er hasste die »First Nations«, wie sich die Ureinwohner dieser kanadischen Region stolz nannten, fast noch inniger, wie er das Land selbst verabscheute. Irgendetwas war in seiner Vergangenheit geschehen, dass ihn diese Vorurteile pflegen und wie Wahrheiten vor sich hertragen ließ, doch Bill kannte keine Details. Wie für den Mann üblich, ging er zudem davon aus, dass es allen anderen Menschen genauso ging. Also hatte er Bill verboten, sich dem Chipewyan zu bedienen, das seine eigentliche Muttersprache darstellte. Die paar Brocken Englisch und Französisch, die Bill verstand, reichten ihm zum Glück aber auch.
    »Bennett!« Eine laute Stimme ließ den Mann zusammenzucken, kaum dass sie die Schwelle des Saloons überschritten und dessen kargen, staubigen Gastraum betreten hatten. »Gary Bennett, dass ich das noch erleben darf.«
    Der Raum war fast leer, nur wenige Männer saßen um einen abgewetzten Tisch verteilt und tranken. Sie beachteten die Neuankömmlinge kaum - anders als der Wirt, der ihnen mit strahlendem Gesicht entgegenkam. Ein breiter Bauch wölbte seine fleckige Schürze aus und seine grauen Haare wurden allem Anschein nach von einer gewagten Mischung aus Schmieröl, Schweiß und Bratenfett an Ort und Stelle gehalten. »Na, was macht der Reichtum, du verfluchter Yankee?«, sagte der Wirt, wischte sich die speckigen Hände an der vor Dreck strotzenden dunklen Weste ab und grinste schelmisch. »Seid ihr endlich fündig geworden, oben in Dellinger's Point?«
    Bill hatte keine Ahnung, wovon der Kerl sprach. Aber er sah, dass dem Mann diese Begegnung alles andere als gefiel. Er wirkte, als wünsche er sich plötzlich ganz weit weg.
    »Sigton«, sagte der Mann gequält, fuhr sich mit der behandschuhten Rechten durch den grau melierten, dichten Vollbart und kniff die braunen Augen zusammen. »Hätte nicht gedacht, dass Sie noch leben.«
    »Hier draußen vergeht nichts«, sagte der Wirt mit einem mehrdeutigen Glitzern in den Augen. »Noch nicht einmal deine Spielschulden. Wenn du willst, lasse ich nach Miller rufen, dann kannst du ihm sein Geld persönlich überreichen. Wie lange wartet er jetzt schon? Zwei Jahre, oder doch drei? Mann, dass du noch mal hier auftauchst…«
    »Das…« Der Mann - Bennett, erinnerte Bill sich in Gedanken - hob so abrupt die Hände, als habe er auf etwas Heißes gefasst. »… wird nicht nötig sein. Wir müssen ohnehin noch etwas erledigen.« Ohne ein weiteres Wort packte er Bill an der Schulter, drängte ihn zurück und auf den Ausgang zu. Er schien es auf einmal sehr eilig zu haben.
    ***
    Da!
    Er war es .
    Da!
    Es ging. Es musste gehen. Das letzte Festmahl lag zwar schon eine Weile zurück, aber er war weise gewesen und hatte sich immer noch ein wenig der so flüchtigen Nahrung aufgehoben. Für alle Fälle. Sie hatte ihn stark gemacht - stärker, als er es seit seiner Wiedergeburt in dieser unwirtlichsten aller Umgebungen jemals gewesen war. Wann immer er nun seine mentalen Fühler aussandte und diese Welt erkundete - weiter, und mit jedem neuen Tag weiter -, spürte er die immense Kraft, die in ihm schlummerte. Sie wartete darauf, dass er sie entdeckte, ihr volles Potenzial begriff

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