0924 - Das Totenbuch
des Paul Sibelius zusammen. Es war vielleicht der Anfang…«
»Kann sein«, gab Suko zu. »Aber Sir James sprach von einem geheimnisvollen Totenbuch, das John gefunden hat. Ich könnte mir vorstellen, daß es einen Zusammenhang gibt.«
»Oder noch mehr«, sagte Shao.
»Wie meinst du das?«
»Die Lösung, Suko. Daß wir in diesem Buch, das wir nicht kennen, die Lösung finden.«
»Ja, wäre möglich.«
»Aber John ist weit weg. Wir sind auf uns allein gestellt. Wir müßten wenigstens versuchen, etwas zu tun.«
Suko überlegte. Er hatte schon einmal den Versuch unternommen, und es war nichts dabei herausgekommen. Dennoch entschied er sich dafür, es zum zweitenmal anzugehen. Er nickte seiner Partnerin zu und sagte mit leiser Stimme: »Okay, ich werde hingehen.«
»Vielleicht spürst du ja was.«
»Ich rechne nicht damit.« Er deutete nach vorn. »Diese Szene spielt sich auf einer anderen Ebene ab und in einer anderen Zeit. Davon bin ich fest überzeugt.«
»Versuche es trotzdem.«
Er nickte. Seine Hände waren feucht. Suko war kein ängstlicher Mensch, aber diese unheimliche Szenerie inmitten eines normalen Zimmers ging ihm schon unter die Haut.
Der erste Schritt war immer der schwierigste. Suko hatte sich schon überwunden, als er mitten in der Bewegung stoppte, denn wie auf Kommando ließen die beiden Männer die Schaufel fallen. Sie hatten den Lehmberg noch nicht ganz abgetragen, aber es lag genug von ihm im Grab, daß der andere Mensch keine Chance hatte, sich zu befreien. Er war sicherlich längst erstickt.
Zu begreifen war es nicht. Die beiden waren nur gezwungen, es hinzunehmen, und sie sahen, wie sich die Grabschaufler umdrehten, als wüßten sie genau, daß sie beobachtet worden waren. Sie taten es langsam, schon regelrecht gemächlich, als wollten sie die Zeit genießen, die ihnen bis zu ihrer Identifikation blieb.
Suko und Shao beobachteten sie genau. Zwar standen sie auf dem Boden, aber es war kein Laut zu hören. Nicht mal Erde krümelte unter ihren Füßen zusammen - und dann zeigten sie sich.
»Nein!« entfuhr es Shao.
Suko sagte nichts, schluckte aber, denn auch er war von dem Anblick überrascht.
Beide Gestalten hatten keine Gesichter. An deren Stelle sahen sie nur zitternde, graue Flächen…
***
Nichts, aber auch gar nichts hatte die beiden einer Lösung nähergebracht. Sie standen noch immer auf derselben Stelle.
Menschen ohne Gesichter…
Wirklich Menschen? Oder waren es nur geisterhafte Gestalten, die aus irgendwelchen Reichen hervorgekommen waren, um schreckliche Aufgaben zu übernehmen? Dämonische Wesen, weder Mensch noch Geist.
Obwohl die beiden keine Augen hatten, glaubten Suko und Shao, von ihnen angestarrt zu werden.
Dabei sahen sie nicht mal schrecklich oder furchteinflößend aus. Sie hatten menschliche Gestalten, und doch waren sie anders. Möglicherweise verbreiteten sie gerade wegen ihrer Normalität diesen Schrecken, mit dem Shao und Suko nicht zurechtkamen. Sie taten nichts, sie blieben in ihrer Welt und ließen sich nicht herauslocken.
Shao faßte ihren Freund an und flüsterte: »Ich weiß genau, was sie wollen. Ich weiß es…«
»Was denn?«
»Sie wollen uns!«
»Bist du sicher?«
»Nicht ganz, aber ich kann mir vorstellen, daß wir zu ihnen kommen sollen.«
»Das hat schon einmal nicht geklappt.«
»Aber jetzt ist es anders. Ich spüre es genau. Es ist alles anders. Ich würde es versuchen.«
»Das übernehme ich. Schließlich hatte ich schon gehen wollen, als sich die beiden umdrehten.«
»Ja, dann tu es.« Shao nickte und ließ ihren Partner los. »Aber bitte, sei vorsichtig! Komm sofort zurück, wenn du etwas merkst.«
»Keine Sorge, ich kenne mich aus.« Mehr brauchte Suko nicht zu sagen. Er gab sich einen innerlichen Ruck und ging auf die schaurige Szenerie zu.
Die beiden Gesichtslosen erwarteten ihn wie zwei Wächter an der Grenze des Totenreichs. Suko spürte auch, daß es ihm nicht möglich war, eine Kommunikation mit ihnen aufzunehmen, aber er glaubte daran, daß er genau in ihrem Sinne handelte. Warum sonst hätten sie sich umdrehen und sich ihnen zeigen sollen?
Es waren nur wenige Schritte bis zur Mitte des Zimmers, und Suko ließ die Distanz sehr schnell hinter sich. Er rechnete damit, etwas zu spüren, wenn er die Grenze zwischen den beiden Ebenen durchschritt, denn das kannte er vom Hindurchschreiten eines transzendentalen Tores.
Suko überwand die Grenze, ohne daß ihn ein Hauch auch nur im Gesicht streifte.
Aber er hatte
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