0925 - Blutzoll
kommt.«
»Was tut er?«
»Nichts, mir nichts…«
»Aber er läßt dich auch bluten…«
Eric hob die Schultern. »Ich spüre, daß es zuviel wird. Es will nach draußen. Es kommt mir fremd vor. Ich hasse mein Blut. Aber ich muß leiden, das hat mir der Schatten gesagt. Solange ich hier lebe, muß ich leiden. Diese Welt ist schlecht. Ich sehne mich zurück nach den anderen Welten. Meine Bilder sind so wunderbar. Ich habe alles gemalt, was man mir gesagt hat, und jetzt läßt man mich bluten. Immer wieder kommt es. Der Schatten sorgt dafür. Ich brauche das Blut nicht, denn ich bin tot. Ja, jetzt weiß ich es. Ich bin tot, aber ich lebe. Es geht alles so weiter, ich lebe nur ohne Schatten. Er ist sein eigener Herr, es ist schrecklich. Der Schatten will mich bald nicht mehr, dann hat er genug. Dann bin ich ausgeblutet. Nur noch eine Hülle.«
»Verspürst du Schmerzen?«
»Nein.«
»Warum bist du vor uns geflohen?«
»Ich konnte nicht mehr bleiben. Ich mußte wieder zurück. Hierher, wo ich hingehöre. Ich leide, ich muß weiterhin leiden, denn ihr habt den Schatten gefoltert. Es ist viel zerrissen worden, sehr viel, und das weiß ich genau. Nichts ist mehr so wie früher. Die Welten werden kippen. Meine Gemälde sind wunderbar, aber sie werden die andere Welt nicht mehr halten können. Ich zahle mit meinem Blut. Es ist Balsam für den Schatten oder den Begleiter. Für jeden Fehler zahle ich mit meinem Blut. Blutzoll für den Schatten, für mich.«
»Hast du denn Fehler begangen?«
»Ich weiß es nicht. Aber ihr lebt.«
»Das ist richtig.«
»Mein Schatten haßt euch.«
»Stimmt auch.«
»Er will euren Tod. Er ist schrecklich. Er bringt euch um, weil es nicht anders geht. Ihr habt ihn dabei gestört. Er konnte sein Reich nicht mehr aufbauen. Er hat auch die Selbstmörder bezahlen lassen. Er hatte ihre Schatten genommen, einfach so, und seine Welt wurde größer und größer.«
»Aber sie leben nicht wie du?«
»Nein, nein, sie sind tot. Ich aber war der Anfang. Ich habe ja als Mensch den Schatten abgegeben, weil es ein anderer so wollte. Ich habe mich darauf eingelassen, aber ich wußte nicht, daß sich der Schatten so gegen mich stemmen würde. Er führt jetzt ein Eigenleben. Er lockt mich an bestimmte Stellen. Ich komme nicht mehr zurecht. Er will manchmal, daß ich sterbe, und dann ist es soweit. Es versinkt alles um mich herum.« Eric bewegte seine Handflächen hektisch über den glatten Fußboden. »Dann bin ich nur noch ein starrer Körper. Ich darf gar nicht leben. Ich habe keinen Schatten mehr, ich bin tot und doch nicht tot. Einmal habe ich erlebt, wie er einen Selbstmörder begleitete. Die Person hat sich so umgebracht, wie ich es damals malte.«
»Woher wußtest du es? Wer hat dir gesagt, welche Bilder du malen solltest, als du noch deinen Schatten hattest.«
»Es kam von fern, von sehr fern her…«
»Der Spuk?«
»Aus dem Dunkel.«
Ich wußte Bescheid. Es war der Spuk, der letztendlich hinter allem steckte und neue Wege suchte, um sich andere Gebiete und Welten zu erobern.
Er hatte einen Versuch mit dem Schatten gemacht. Er hatte nicht auf die Seelen der getöteten Dämonen gewartet und war nach vorn geprescht. Das nahm ich ihm übel.
»Auf wen oder was wartest du jetzt?« wandte ich mich an Eric. »Willst du, daß der Schatten erscheint?«
»Ich kann ihm nichts befehlen. Ich kann es nicht beeinflussen.«
»Aber du glaubst, daß er kommen wird.«
»Er ist plötzlich da.«
»Okay, wir werden warten.«
Eric Canetti schaute mich an. Er saß auch weiterhin auf dem Boden, und ich fragte ihn, ob er nicht aufstehen wollte, aber er schüttelte nur den Kopf.
Ich trat zurück. Suko und Shao hatten gewartet und zugehört. Der Inspektor nickte mir zu. »Der Spuk also«, sagte er leise. »Sieh mal an. Aus dem Hinterhalt will er wieder eingreifen.«
»Es war ein Versuch.«
»Der Menschenleben gekostet hat«, sagte Shao.
»Hast du etwas anderes erwartet?«
»Ich weiß es nicht.«
»Es gibt keine guten oder schlechten Dämonen«, sagte Suko. »Ich glaube einfach nicht daran. Im Prinzip sind alle schlecht, und auch der Spuk strebt nach Macht. Schließlich steht er im Clinch mit der verdammten Hölle, wenn ich das mal so locker sagen darf.«
Da hatte er nicht unrecht. Unsere Unterhaltung wurde durch Eric Canetti gestört, denn ihn überkam plötzlich eine große Unruhe. Er rutschte auf dem Boden hin und her. Dabei bewegte er sich hektisch, hob die Arme an, umschlang sich selbst und
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