0926 - Mörderische Lockung
Chance.«
»Ja und nein.«
»Wieso?«
Jane beugte sich nach vorn und umfaßte das nasse kühle Glas mit beiden Händen. »Wenn ich es vergessen soll oder einfach nur will, dann stehe ich allein da. Ich glaube einfach nicht daran, daß es auch die andere Seite vergißt. Sollte ich mich nicht rühren, sollte ich keinen Bescheid geben, wird die andere Seite trotzdem nicht locker lassen. Darauf kannst du dich verlassen.«
»Meinst du?«
»Und ob.«
»Was tun wir?«
»Fliegen.«
Ich verzog den Mund und schaute auf das Foto. Die Frau hatte ich noch nie gesehen. Wer oder was sie war, konnte ich ihrem Gesicht nicht entnehmen. Man sieht einer Hexe nicht an, daß sie eine Hexe ist, wobei ich diesen Begriff sehr weit faßte. Man sieht auch einem Verbrecher nicht an, ob er nun morden oder sich nur ein Bier bestellen will. Es war eine durchaus attraktive Person, und ich glaubte Jane auch, daß sie das Gesicht hatte verschwinden sehen.
»Hast du dich entschieden?« fragte sie. »Fliegst du mit und versuchst, mir zu helfen?«
»Nun ja, so einfach ist das nicht.«
»Wir brauchen uns nur in die Maschine nach Malaga zu setzen.«
»Das stimmt schon. Aber mir geht die Frau nicht aus dem Sinn. Hast du schon darüber nachgedacht, daß sie dich in eine Falle locken will?«
»Klar, John.« Jane trank einen Schluck Bier und meinte: »Deshalb möchte ich dich ja mitnehmen. Du bist so etwas wie ein Schutzengel für mich.«
»O - danke sehr.«
»Werde nicht ironisch. Für mich ist dieser Fall ernst. Die Frau steckt in einer Klemme.«
»Eine Hexe - möglicherweise.«
»Na und? Auch die haben Feinde. Zudem kommt es immer darauf an, welche Hexe wir da vor uns haben. Wenn du mich anschaust und daran denkst, daß auch noch in mir gewisse Hexenkräfte schlummern, kannst du auch mich als eine Hexe ansehen.«
Ich grinste sie über den Tisch hinweg an. »Machst du dich jetzt schlechter, als du es bist?«
»Nein, gar nicht. Aber ich denke daran, daß ich nicht die einzige bin, die mit diesem Schicksal lebt. Du würdest mir ja auch helfen, wenn ich in Schwierigkeiten stecke.«
»Versteht sich.«
»Eben. So denke ich auch.«
Ich nahm das Bild hoch und kippte den Stuhl zurück. Unter ihm knirschte leise der Kies. Die Stimmen der anderen Gäste erreichten unsere Ohren, aber sie störten nicht. Über meinem Kopf summten zwei Wespen, die anschließend mein Glas umkreisten, auf dessen Öffnung ich einen Bierdeckel als Schutz gelegt hatte.
»Woran denkst du jetzt?« fragte Jane, als sie mich beobachtete.
»Soll ich es dir sagen?«
»Bitte.«
Ich setzte mich wieder normal hin. »Dieses Bild will mir nicht aus dem Kopf. Du hast mir ja davon erzählt, daß das Foto plötzlich verschwand. Gehen wir davon aus, daß es zwar eine normale Fotografie ist, aber nicht die eines normalen Menschen.«
»Weiter.«
»Keine Sorge, Jane. Das Foto ist - ich kann mich auch irren - magisch geladen. Zumindest magisch beeinflußt worden. Mich würde es jetzt interessieren, was geschieht, wenn ich es mit meinem Kreuz kontaktiere. Damit wäre uns schon geholfen.«
Jane schnappte nach Luft. Mein Vorschlag hatte ihr gar nicht gefallen, das sah ich. »Und?« wiederholte sie. »Uns interessieren? Nein, John, nur das nicht. Dich würde es interessieren, nicht mich. Ich nehme es so hin, wie es ist.«
»Hast du Angst davor, daß mein Kreuz es zerstören könnte?«
»Auch das, aber nicht nur aus Gründen, wie du sie dir vielleicht vorstellst.«
»Sondern?«
»Wenn wir nach Torres de Mar fliegen, brauchen wir das Foto. Wir werden es herumzeigen. Eine Frau wie sie muß einfach auffallen. Sicherlich ist sie bekannt.«
Ich lächelte. »Du hast gewonnen, Jane.« Ich schob ihr das Foto wieder zu.
»Das wollte ich auch meinen. Und was ist mit dir? Wie hast du dich entschieden?«
»Da du mich unbedingt als Aufpasser engagieren willst, fliege ich natürlich mit.«
»Danke.«
»Über das Gehalt sprechen wir dann, wenn wir angekommen sind.«
»Soll ich jetzt lachen?«
»Nein, lieber ein Hotelzimmer bestellen.«
»Ist schon geschehen.«
»Ho. Und das in der Hochsaison?«
Jane winkte ab. »Es gibt Hotels, die haben auch in den Sommermonaten noch Zimmer frei.«
»Und wann starten wir?«
»Am späten Nachmittag.«
»Perfekt, Madam, wirklich perfekt«, sagte ich und winkte dem Kellner zu, weil ich zahlen wollte.
So ein Quatsch, dachte ich. Da sitzt man hier im sommerlichen London in einem Biergarten und klemmt sich bald in die Maschine, um dorthin zu fliegen, wo
Weitere Kostenlose Bücher