Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0927 - Nacht über GALAHAD

0927 - Nacht über GALAHAD

Titel: 0927 - Nacht über GALAHAD Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
Vom Netzwerk:
während seine mentalen Schutzmechanismen nach und nach aufgeben und vor den Waffen des unbekannten, mächtigen Gegners kapitulieren. Nichts davon ist real; es geschieht nicht wirklich, sondern hinter seiner Stirn - und doch weiß er, dass er kurz davor steht, sich an die Energie zu verlieren, die ein Nein nicht kennt.
    Und deren Ursprung ihm auf einmal so klar vor Augen steht, wie es nur möglich ist.
    Unbändige Macht geht von dieser Energie aus. Sie ist wie eine Naturgewalt, eine Lawine aus Habsucht und Hunger. Er ist nur ein kleines Steinchen in ihrem Weg.
    Der Meister des Übersinnlichen kämpft. Wie ein Schiffbrüchiger inmitten eines stürmischen Ozeans lehnt er sich gegen die feindlichen Fluten auf, strampelt um seine Existenz. Doch mit jedem Schub, den er dem Sog entgegenzusetzen vermag, intensiviert sich die Strömung. Ein gnadenloser geistiger Treibsand hält seinen Verstand gefangen, und darin kann schon die kleinste Bewegung das Ende einläuten.
    Sekunden werden zu Ewigkeiten. Und mit jeder verstreichenden spürt er, wie sein Widerstand wegbricht, seine Energie verfliegt. Mit einem Mal wird der Sog zur Verlockung. Warum wehrt er sich? Weshalb die Mühe? Ist es nicht menschlich, zu verlangen? Strebt nicht alles Leben danach, mehr zu sein und zu besitzen? Und wenn ja: Ist es dann nicht nur natürlich, was hier geschieht?
    Zamorras Schub lässt nach. Und der Sog erfasst ihn, macht ihn zu einem Teil von sich, reißt ihn in die Tiefe, ins Vergess…
    ***
    Der alte Mann stand an Deck und blickte nach Westen. Dort, einige Kilometer in der Ferne, konnte er die Öffnung sehen, in der der Firth auf die Nordsee traf. Der Himmel war diesig an diesem Morgen. Typisch für die Gegend, so wusste er. Ein kühler Wind blies aus Richtung des Meeres herbei, strich dem Mann durch den sorgsam gepflegten Vollbart und das gescheitelte Haar. Möwen kreisten in der Luft und sangen ihr krächzendes Lied.
    Ein Postkartenmoment. Eine Idylle, verlogen und trügerisch.
    Mehrere Meter unter ihm brach das Wasser gegen die Stützpfeiler der Insel aus Metall. Gischt wirbelte auf, und der Wind trug ihre Tropfen sogar bis hinauf aufs Deck. Unterhalb der Knie war die in gedecktem Braun gehaltene Tweedhose des alten Mannes bereits völlig durchnässt, doch er ignorierte es. Darin war er gut. Die letzten Jahre hatten ihn gelehrt, Dinge zu ignorieren, die ihm im Weg standen.
    Ein Pausenhorn dröhnte, und wenige Augenblicke später verstummte das konstante Summen der Maschinen in seinem Rücken. Türen wurden auf- und zugeworfen, murmelnde Stimmen erklangen, und Gummisohlen eilten quietschend von A nach B.
    »Sir?«
    Er war nicht überrascht, als Barksdale plötzlich neben ihm erschien. Im Gegenteil.
    »Ich hatte Sie schon erwartet, Colin«, sagte er, ohne den Blick von dem Panorama zu nehmen, das sich vor ihm erstreckte. »Was sagt die Zentrale?«
    Der Vorarbeiter klang so zerknirscht, wie er vorhin noch aufmüpfig gewesen war. »Sir, ich… Die NorthOil hat Ihre Legitimationsunterlagen vollumfänglich bestätigt. Ich… kann Sie nur um Verzeihung für mein Benehmen bitten.«
    Der Alte hob amüsiert eine Braue. »Aber nicht doch, Barksdale. Sie machen nur Ihren Job. Warum sollte ich Sie für Dinge zur Rechenschaft ziehen, deren Hintergründe Ihnen nicht bewusst waren?«
    »Danke, Sir.« Eine Pause. »Wenn ich fragen darf, Sir… Warum sind Sie hergekommen? Alle Daten über den Betrieb und die Erträge von GALAHAD hätte Ihnen NorthOil auch elektronisch zukommen lassen. Dafür war es der Mühe nicht wert, extra hierher zu…«
    »Tsk, tsk, tsk, mein lieber Colin, Sie machen es ja schon wieder.« Der Alte deutete ein Kopf schütteln an. »Ich dachte, ich hätte mich deutlich ausgedrückt: Diese Bohrinsel gehört mir. Mir persönlich. Nicht der NorthOil . Und ich kann mit ihr tun und lassen, wonach auch immer mir der Sinn steht.«
    »Und was wäre das?« Eine vorsichtige Frage. Barksdale wägte seine Worte genau ab, das hörte man ihm an.
    »Zunächst einmal werde ich ein wenig renovieren. Und dann erwarte ich… nun ja… eine kleine Lieferung.«
    Keine zwei Stunden später traf der Helikopter mit dem Sarg auf der Bohrinsel ein.
    Kapitel 5 - Morrow: Objekte im Rückspiegel
    Oxford, 1980
    Schweiß auf seiner Stirn. Tränen auf seinen Wangen. Sein Atem ging schnaufend und in ruckartigen, unregelmäßigen Schüben. Doch er zitterte nicht. Er wusste genau, was er tat - und er wollte es. Mit einem leisen Klick kamen seine Zähne auf dem Lauf des

Weitere Kostenlose Bücher