0929 - Engelsblut
Feuerengel, der in London erschien und in seiner Welt nicht glücklich werden konnte.«
»Daran habe ich ja auch gedacht.«
»Wunderbar. Nur haben Sie mir nicht den Eindruck gemacht.«
»Das stimmt, denn ich wollte diesen Dobson nicht noch höher stellen. Ich mag ihn nicht. Das ist so ein furztrockener Typ, der beim Beamten-Mikado gewonnen hat.«
»Was ist das denn?«
»Wer sich bewegt, hat verloren.«
Sir James wußte nicht, ob er lachen oder ernst bleiben sollte. Er entschied sich für den Mittelweg und grinste nur säuerlich. Dann kehrte er wieder zum Thema zurück. »Sie werden sich die Frau jedenfalls genauer anschauen.«
»Das mache ich.«
»Dann haben Sie ja morgen früh einen Job.«
Ich ließ erst mal Bier in meinen Mund laufen, schluckte es und sagte mit leiser Stimme: »Ich weiß nur nicht, wie ich bei ihr antanzen soll. Ob normal oder verletzt?«
»Wieso verletzt?«
»Als jemand, der Heilung sucht.«
»Unsinn, Sie gehen so hin. Sie wollen sich doch keine Wunde zufügen, John.«
»Nein, nein, das nicht. War auch nur ein Scherz. Aber eine andere Frage hätte ich schon.«
»Bitte.«
»Wissen Sie mehr über diese Person, Sir? Haben Sie eine Ahnung, woher sie kommt? Ihr Name hörte sich ja nicht eben britisch an. Kann es sein, daß sie aus Italien stammt?«
»Ja, das wäre denkbar.«
Ich lächelte vor mich hin. »Da schießt mir ein verrückter Gedanke durch den Kopf, Sir. Stellen Sie sich vor, diese Frau kann tatsächlich heilen, und stellen Sie sich weiterhin vor, daß sie aus Italien stammt, und denken Sie auch daran, daß wir hier in London zahlreiche Mafiosi herumlaufen haben, dann könnte es doch sein, daß diese Typen, werden sie von einer Kugel oder durch einen Messerstich verletzt, ihre Landsmännin aufsuchen, um sich die Wunden heilen zu lassen. Ist nur eine Vermutung, aber durchaus im Bereich des möglichen.«
»Davon hat Dobson nichts erwähnt«, erwiderte Sir James nach einer Denkpause.
»Kann ich mir vorstellen.«
Er räusperte sich. »Jedenfalls sollten Sie versuchen, herauszubekommen, was mit der Frau geschehen ist. Ob sie tatsächlich heilen kann. Ob das Zeug das Blut eines Engels ist und so weiter.«
»Das ist es sicherlich nicht.«
»Was macht Sie so sicher?«
»Nichts, Sir, aber es paßte mir einfach nicht, daß jemand umherläuft und mit dem Blut eines himmlischen Wesens heilt, das eigentlich keines haben dürfte, weil es feinstofflich ist.«
»Einverstanden, John. Und was denken Sie?«
»Liebe und Haß liegen oft sehr dicht beisammen. Das gilt auch für die Begriffe Engel und Teufel. Manchmal ist der Schritt gar nicht so groß. Genau das ist es auch, was mich an diesem Fall interessiert, Sir.«
»Wenigstens etwas«, sagte der Superintendent und prostete mir mit seinem Labberwasser zu…
***
Eigentlich hätte sich Marcia ausziehen müssen, aber davon hatte sie Abstand genommen. Sie wollte ihre Wunde heilen, obwohl sie noch ihre Kleidung trug. Sie hatte sich des Sweatshirts entledigt und die Hose ein Stück nach unten gestreift, damit die Stichwunde in ihrer ganzen Länge freilag.
Aus der Schublade ihres Schreibtisches hatte sie einen Spiegel genommen und ihn so gehalten, daß sich die Wunde darin abmalte. Jede Einzelheit wollte sie sehen, und sie mußte zugeben, daß sie Glück gehabt hatte. Wäre die Klinge auch nur in einem etwas anderen Winkel aufgetroffen, dann wäre die Verletzung tödlich gewesen oder hätte tödlich sein können. So aber war es nur eine Fleischwunde, aus der zwar Blut geronnen war, die auch schmerzte, aber durchaus operabel war, vor allen Dingen durch ihre Kräfte.
Die Wunde blutete nicht mehr, zuckte aber noch und sah aus wie ein Maul, das sich ab und zu bewegte.
Noch nie zuvor hatte sich die Frau selbst verarzten oder heilen müssen. Für sie war es Premiere, und sie tauchte vorsichtig ihre rechte Hand in die Flüssigkeit.
Es tat ihr gut, das Blut an den Händen zu spüren. Es war angenehm warm und auch auf eine gewisse Art und Weise kühl, zumindest empfand sie es so. Sie hatte das Engelsblut einmal mit der Hand durchgerührt und zog die Rechte nun hervor. Dann brachte sie die Hand mit einer behutsamen Geste bis dicht an ihre Wunde heran und verteilte die Flüssigkeit auf die Wunde. Nach wie vor hielt sie den Spiegel fest, um sich bei dieser Tätigkeit selbst beobachten zu können.
Es schmerzte, als das Engelsblut und die Hand die Wunde berührten, doch sie spürte auch etwas von einer kaum zu beschreibenden Wohltat, als das fremde
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