0929 - Engelsblut
ihn nicht verteidigen. Aber ich war bewaffnet. Der Gedanke war kaum da, und schon bewegte sich meine Hand auf die Waffe zu.
Es fiel mir schwer, verdammt schwer sogar, aber ich schaffte es, den Griff zu umklammern und die Waffe hervorzuziehen.
Das war der Moment, als sich der Killer abermals bückte, um gezielt zuzustechen.
Plötzlich entdeckte er die Pistole und kriegte auch mit, wie ich sie in seine Richtung drehte.
Vielleicht hätte er es noch geschafft, das Risiko aber wollte er nicht eingehen. Der Anblick hatte ihn irgendwie durcheinandergebracht. Er zischte mir noch einen Fluch entgegen, und plötzlich bewegte er sich auf die Treppe zu, rannte die Stufen hoch, riß die Haustür auf und war Sekunden später verschwunden.
Ich aber lag auf dem Boden. Ich hatte den Arm halb in die Höhe bekommen, aber ich war nicht mehr in der Lage, den Stecher zurückzuziehen…
***
Marcia Morana hatte die Nacht nicht vergessen und natürlich auch den Killer nicht.
Sie wußte, daß er keine Ruhe geben würde, bis er sie, die Zeugin, gefunden hatte. Und er würde es so rasch wie möglich durchziehen, dessen war sie sich sicher.
Tun konnte sie dagegen nichts. Sie mußte warten, bis er auftauchte und dann aus der Situation heraus handeln.
Einfach war es nicht. Die restlichen Stunden hatte sie kaum geschlafen. Sie hatte den Sonnenaufgang miterlebt, dann jedoch war sie in einen unruhigen Schlummer gefallen, aus dem sie erst wieder erwachte, als es kühl war.
Sie duschte sich ab. Daß die junge Frau gerettet war, stand fest, und sie freute sich auch darüber.
Aber der Ärger würde noch beginnen. Für diesen Tag lag kein Termin an. Die Kunden kamen auch sporadisch oder riefen vorher an, denn die Mundpropaganda hatte gut geklappt. Die Blutheilerin war bei Insidern bekannt.
An diesem Tag aber wartete sie auf den Killer.
Sie zog sich luftige Kleidung an. Ihr Slip war eng und dunkel. Er malte sich auch nicht unter dem schwarzen, langen Kleid ab, dessen Stoff aus einem hauchzarten Gewebe bestand, das bei jedem Schritt wehte und sich auch gegen den Oberkörper der Frau drückte und sich die Brüste darunter deutlich abzeichneten.
Das dunkle Haar hatte sie wieder zurückgekämmt und es im Nacken mit der Spange festgesteckt.
So setzte sie sich in ihrem Arbeitszimmer an den Schreibtisch und wartete auf den Killer.
Daran gab es nichts zu rütteln. Der Killer würde ihrer Meinung nach erscheinen. Er war ja nicht dumm, und es würde ihm auch gelingen, ihre Anschrift herauszubekommen.
Sie trank Tee, eine Mischung, die sie sich selbst zusammenstellte. Dabei dachte sie an die Schale mit dem Blut, die im Safe stand. Es war das Erbe einer besonderen Person gewesen, eines Engels, wie er behauptet hatte, aber davon war Marcia trotz allem nicht überzeugt gewesen. Sie hatte es nicht hier in London erhalten, sondern damals, noch in ihrer Heimat, in Italien, in den Abruzzen, wo die Heiligen auf eine bestimmte Art und Weise verehrt wurden.
Engelsblut…
Ob es zutraf oder nicht, für Marcia Morana war es das Blut eines Engels, und sie dachte auch nicht darüber nach, ob das Wesen nun feinstofflich war oder nicht.
Sie konnte damit heilen. Sie konnte damit Gutes tun, und damit war ihr Sinn des Lebens erreicht.
Was sie unternehmen würde, wenn das Blut nicht mehr vorhanden war, wußte sie nicht. Jedenfalls war noch genügend da, sie würde einige Jahre damit auskommen.
Blut von einem Engel…
Noch immer kriegte sie einen Schauer, wenn sie darüber nachdachte. Das war so unwahrscheinlich, daß sie kaum darüber nachdenken wollte, um alles zu erfassen. Da gab es keine Logik, keine medizinische Erklärung. Hätte man sie danach gefragt, sie hätte nur die Schultern heben können.
Eine Antwort mußte sie schuldig bleiben.
Es war alles wunderbar gelaufen. Sie hatte heilen können, sie war bekannt geworden, aber nicht zu bekannt, und nur in der letzten Nacht war alles anders geworden.
Jetzt bin ich eine Zeugin! dachte Marcia, und der Killer wird kommen, um mit mir abzurechnen.
Die Frau wußte nicht, wie er vorgehen würde, aber er würde nicht locker lassen. Sie hatte es an seinem Gesicht abgelesen. Dieser Mensch war schrecklich. Er brachte das Grauen! Er tötete nicht, weil er damit sein Geld verdiente, er mußte einfach killen; sein Trieb war zu stark.
Es war das Böse, das von ihm Besitz ergriffen hatte, und Marcia schüttelte sich, als sie daran dachte.
Einige Male preßte sie die Hände zu Fäusten, dann erwischten sie Hitzewellen, und
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