0929 - Engelsblut
Hof gehen.
Doch es kam anders.
Plötzlich war sie gezwungen, ihre Ohren zu spitzen, denn sie hörte Stimmen. Da waren plötzlich zwei Männer vor der Tür - nicht nur einer. Sie sprachen miteinander, aber sie redeten so leise, daß Marcia kein Wort verstehen konnte.
Sie wollte es genauer wissen, schlich auf die Tür zu und legte wieder ihr Ohr dagegen, wobei sie darauf achtete, daß kein Geräusch entstand und sich auch nicht das Holz bewegte.
Sie sprachen noch immer.
Leise oder halblaut? Marcia wußte es nicht. Sie fragte sich, ob der Mörder mit einem Komplizen gekommen war. Alles lag im Bereich des Möglichen.
Dann hörte sie plötzlich ein Geräusch, mit dem sie nicht zurechtkam. Es war ein lautes Stöhnen, gefolgt von einem Fluch, den der Killer gesprochen hatte, und kurz danach vernahm sie sehr deutlich die Tritte, die sich hastig entfernten.
Er rannte weg!
Unmöglich!
Marcia bekam noch etwas weiteres mit. Das Geräusch war nicht sehr laut, aber jemand hatte an der anderen Seite gegen die Tür geschlagen und diesen Ton hinterlassen.
Ihre Augen zogen sich zusammen. Durch ihren Kopf huschten die Gedanken. Sie kam plötzlich nicht mehr zurecht, aber die innere Stimme sagte ihr, daß es besser war, wenn sie über ihren eigenen Schatten sprang und die Tür öffnete Es waren nur zwei kleine Schritte, dann hatte sie das Ziel erreicht. Die Tür war nicht abgeschlossen.
Man konnte sie von innen, aber nicht von außen öffnen.
Wie jemand in einer fremden Wohnung bewegte sich die Frau und legte ihre Hand behutsam auf die Klinke, die sie sehr langsam nach unten drückte. Die Tür ließ sich nach innen öffnen, und sie tat es vorsichtig.
Marcias Blick glitt in den Flur hinein, und sie war enttäuscht, als sie ihn leer fand.
Nicht zu sehen?
Dann schaute sie nach unten.
Marcia sah den Mann und das Blut!
***
Im ersten Augenblick war sie unfähig, überhaupt etwas zu denken. Mit diesem Bild hätte sie nie gerechnet. Es war einfach zu überraschend gekommen. Es gelang ihr auch, einen Blick in das Gesicht des vor der Tür liegenden Mannes zu werfen, und sie sah, daß es zu einem Fremden gehörte. Den Verletzten hatte sie noch nie in ihrem Leben gesehen, aber die Lache auf dem Boden vergrößerte sich. Das Blut rann nach wie vor aus der Wunde. Marcia Morana war gefordert.
Den Killer sah sie nicht mehr. Auch nicht, als sie die Tür ganz geöffnet hatte und nach links schaute, wo der Hausflur sehr schattig war. Sie bückte sich und umfaßte den Verletzten, indem sie die Hände in seine Achselhöhlen drückte.
Etwas härter mußte sie zugreifen, um ihn so fassen zu können, wie es richtig war.
Sehr vorsichtig zog sie ihn zur Seite und schleifte ihn dann ebenso behutsam über die Schwelle und in ihre Wohnung, wo sie sich um ihn kümmern wollte.
Sie ließ ihn im Flur liegen, füllte Wasser in einen Eimer, eilte wieder in den Flur und wischte die Lache so gut Wie möglich weg. Daß noch ein hellroter Fleck zurückblieb, störte sie nicht.
Wichtig war jetzt der Verletzte.
Sie zog ihn behutsam in ihr Arbeitszimmer. Dort ließ sie ihn auf dem Boden liegen, eilte zum Schrank, öffnete ihn und holte die Schale mit dem Engelsblut hervor.
Sie fand neben dem Verletzten ihren Platz, und Marcia hob den Deckel mit beiden Händen ab.
Es ging alles glatt. Vorsichtig legte sie den Deckel zur Seite. Die Oberfläche des Inhalts schimmerte ihr wie eine dunkle Pfütze entgegen. Bevor sich die Heilerin an die eigentliche Arbeit machte, schob sie noch den Hemdenstoff aus der unmittelbaren Umgebung der Wunde zur Seite, damit die Einstichstelle freilag.
Die Verletzung war dem Mann mit einem Messer zugefügt worden. Mit demselben Messer mußte er auch das Liebespaar attackiert haben, aber daran wollte sie nicht denken, auch nicht an den Killer.
Es war wichtig, daß dieser Mann gerettet wurde.
Marcia tunkte ihre Fingerspitzen in die Flüssigkeit. Mit den anderen Hand drückte sie die Wundränder zusammen. Sie desinfizierte nichts, das war in ihrem Fall nicht nötig. Sie wollte auch nicht weiter über das Blut nachdenken, alles mußte jetzt seinen geregelten Gang gehen, und sie tat es so wie immer.
Das Blut war warm. Es war fremd, und nahe der Wunde vermischte es sich mit dem des Verletzten.
Die Heilerin war jetzt sehr ruhig und konzentriert. Die Furcht war aus ihren Augen verschwunden.
Sie gehörte jetzt zu den Menschen, die einzig und allein an ihre Aufgabe dachten, denn sie war geboren, um helfen zu können. Das hatte sich im
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