0929 - Engelsblut
sprudelte.
»Anonym?« fragte ich.
»Ja, bei Ihren Kollegen.«
Ich mußte erst mal trinken. Dann brannte plötzlich ein Kronleuchter in meinem Kopf. Ich dachte an das Telefax, und es war klar, wer sich da bei der Polizei gemeldet hatte.
»Dann sind Sie es gewesen, die den Toten gefunden hat! Oder liege ich falsch?«
»Nein.«
»Und die junge Frau?«
»Habe ich behandelt.«
»Alles klar«, sagte ich und leerte das Glas. »Jetzt ist mir alles klar.«
»Aber mir nicht«, erklärte Marcia. »Was ist denn los? Sind Sie nicht wegen dieses Vorfalls erschienen?«
»Nein, das war nicht der Grund.«
»Dann verstehe ich gar nichts mehr.«
Ich lächelte und nickte vor mich hin.
»Wenn ich ehrlich bin, dann ergeht es mir ebenso.«
»Moment mal«, sagte Marcia, »zuerst sind Sie an der Reihe, Mr. Sinclair.«
»Sagen Sie John. Darf ich mich setzen?«
Sie mußte lachen. »Natürlich dürfen Sie das. Sie dürfen alles, schließlich haben Sie mir meine Sicherheit zurückgegeben.«
»Das beruht doch wohl auf Gegenseitigkeit.« Ich hatte das leere Glas abgestellt und schlenderte auf die Liege zu, wo ich auch meinen Platz fand. »Ich weiß nicht so recht, wie ich beginnen soll, aber angefangen hat es mit dem Besuch eines furztrockenen Beamten bei unserer Dienststelle, also bei Scotland Yard. Das war so ein Gesundheitsdetektiv, ein Revisor, dem ich aber jetzt Abbitte leisten muß, denn in diesem Fall hat er mich auf eine Spur gebracht. Man war besorgt wegen gewisser Heilungen, die ja auch eingetreten sind, wie Sie an mir selbst demonstriert haben, Marcia.«
Die Frau saß auf der Kante ihres Schreibtisches und hörte mir gespannt zu. Ich ließ keine Details aus, denn ich vertraute ihr voll, schließlich verdankte ich ihr viel. Und so erfuhr sie, wie ich ihr überhaupt auf die Spur gekommen war und weshalb ich ihr gegenübersaß.
Als ich gesagt hatte: »So ist es gewesen«, nickte sie nur und senkte danach den Kopf. »Es ist seltsam«, murmelte sie, »welche Fäden das Schicksal doch knüpfen kann. Das ist einfach unglaublich, aber ich sehe keinen Grund, Ihnen nicht zu glauben.«
»Das stimmt auch.«
»Dann haben Sie auch den Killer gesehen.«
»Ja.«
Sie stellte mir eine Frage, die mich leicht überraschte. »Können Sie ihn mir noch einmal beschreiben, John? Und zwar so genau wie möglich? Das wäre wichtig für mich.«
Ich erkannte zwar den Sinn nicht so recht, aber sie wußte schon, was sie tat. Ich beschrieb den Mann, erwähnte seinen Bart, die Brille und die Kappe.
Noch während meiner Worte hatte sie den Kopf geschüttelt und auch den Blick gesenkt. »Nein, John, nein, das kann ich nicht akzeptieren. Tut mir leid.«
»Wieso…?«
»Er ist es nicht gewesen!«
»Bitte.«
Sie hatte den Kopf angehoben. Ich schaute ihr ins Gesicht, und Marcia wiederholte ihren Satz. »Er ist es nicht gewesen, John. Ich habe einen anderen gesehen.«
»Dann gibt es zwei?«
»Das weiß ich nicht«, antwortete die Heilerin. »Ich kann es auch nicht glauben. Aber ich möchte nicht zurückstehen und werde Ihnen jetzt meine Geschichte erzählen.«
»Darum bitte ich.«
Sie sprach nicht von ihrer Vergangenheit und auch nicht von ihren ungewöhnlichen Kräften, sondern berichtete, was ihr in der letzten Nacht widerfahren war und wie sie das Mädchen gerettet hatte. Bei dem jungen Mann war es ihr nicht gelungen, da hatte sie leider passen müssen.
Indirekt konnte ich es bestätigen, denn die Experten hatten ja vor einem Rätsel gestanden. Für mich war das Rätsel gelöst worden, und ich atmete tief durch.
»Begreifen Sie nun, was ich meine, John?«
»Natürlich, alles klar. Aber es ist eine Tatsache, daß wir von zwei verschiedenen Personen angegriffen wurden.«
»Tatsächlich, John?«
Ich sah Marcias Lächeln und lächelte ebenfalls. »Wahrscheinlich denken Sie ebenso wie ich.«
»Wie denn?«
»Nun ja.« Marcia zählte es an ihren Fingern ab. »Es gibt falsche Bärte, es gibt Brillen mit Fensterglas - es gibt auch Mützen, deren Schirme das Gesicht teilweise verdecken. Es könnte doch sein, daß sich der Typ verkleidet hat.«
»In der Tat.«
»Sie denken auch so?«
»Darauf können Sie sich verlassen.«
Marcia Morana atmete auf. »Dann liegen wir ja auf einer Linie und können uns etwas einfallen lassen.«
»Da ist allerdings noch ein Problem«, gab ich zu.
»Welches?«
Kopfschüttelnd gab ich die Erklärung. »Ich sehe mich noch immer vor der Tür liegen. Ich habe das Messer gespürt, wie es in meine Wunde glitt. Ich
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