093 - Der Geist im Totenbrunnen
entspannte sich, sie brachte es sogar fertig, ein wenig zu lächeln. „Zwei Millionen, vielleicht sogar drei. O Liebling! Wenn alles vorüber ist, machen wir eine Weltreise. Wir verkaufen Marhill Place, ziehen nach Acapulco oder Florida. Wir leben und lieben, wir tun, was uns gefällt!“
„Nicht so schnell, Liebling“, lachte er. „Wir müssen Gras über die Geschichte wachsen lassen. Die nächsten Monate werden hart sein. Wir dürfen uns nicht mehr so oft treffen, auch nicht heimlich! Das könnte zu den Redereien führen, vor denen du Angst hast.“
„Ich verlasse Marhill Place“, sagte sie entschlossen. „Nicht heute und morgen, aber in zwei oder drei Wochen. Niemand wird mir das verübeln können. Ich kann in diesem verfluchten, alten Gemäuer doch nicht allein leben. Vielleicht fällt es Leroy am Ende sogar ein, mich als Geist zu besuchen.“
„Geister“, spottete Harry O’Neill, „sind keine guten Liebhaber. Laß dich also bitte nicht auf dumme Spukgeschichten ein. Sie würden nur deine Nervensubstanz aufzehren.“
„Keine Angst“, winkte Daphne ab. „Ich glaube nicht an Gespenster. Wenn ich das täte, wäre ich gar nicht erst nach Marhill Place gezogen. Bis jetzt bin ich noch von keinem Schloßgespenst belästigt oder erschreckt worden.“
„Woraus sich unschwer erkennen läßt, daß Schloßgeister nicht zu wissen scheinen, was gut ist und Klasse hat“, meinte Harry O’Neill grinsend. „Wenn ich spuken und nach Belieben die Schlafzimmer der Lebenden heimsuchen könnte, wärest du Nummer eins auf meiner Aktionsliste.“
„Ich schlafe nicht mit Gespenstern“, sagte Daphne spöttisch, „also besteht für dich kein Anlaß, dir so etwas zu erträumen.“
Zwanzig Minuten später erreichten sie Marhill Place. Vor dem Haus parkte der Sportflitzer, mit dem Harry O’Neill seine Rückfahrt anzutreten beabsichtigte. „Ich kümmere mich um den Tee“, sagte Daphne, als sie das Haus betraten. „Öffne bitte die Terrassentür und laß frische Luft herein…“
Harry O’Neill tat, worum Daphne ihn bat, dann ging er in die Küche und sah zu, wie sie Teewasser aufsetzte. Er trat von hinten an sie heran, preßte seinen Unterleib gegen die verführerische Wölbung ihres Gesäßes, griff mit beiden Händen nach ihren vollen, elastischen Brüsten und küßte sie auf den schlanken, weißen Hals.
„Ich muß dich haben“, keuchte er.
Daphne legte den Kopf weit zurück und schloß die Augen. Sie erwiderte den Druck seines Körpers. „Aber doch nicht jetzt, das wäre pietätlos…“ flüsterte sie.
Er biß sie zärtlich ins Ohr. „Pietätlosigkeit war immer unsere Spezialität“, sagte er. „Hast du das vergessen?“
Daphne wandte sich um. Sie schlang ihre Arme um seinen Nacken. Als sie ihn küßte, öffneten sich ihre Lippen.
„Ich bin verrückt nach dir“, stieß Harry O’Neill hervor. „Das ist gut“, flüsterte Daphne schwer atmend und ergab sich dem Tasten seiner lüsternen, emsigen Hände. „Zeige es mir, Liebling, beweise es mir…“
Leroy Chester hatte ein komisches Gefühl in der Magengrube, als sie sich Marhill Place näherten. Der Taxifahrer hieß Miles Bradford. Er war gleichzeitig Tankstellenbesitzer und verdiente sich mit Lohnfahrten etwas hinzu.
Miles Bradford war ein etwas mürrischer, schweigsamer Typ, der nur dann redete, wenn er angesprochen wurde, Chester fand es angenehm, sich von ihm chauffieren zu lassen. Zwar lagen ihm hundert Fragen auf der Zunge, aber da er wußte, daß Bradford sie nicht beantworten konnte, schwieg auch er.
Leroy hatte es inzwischen aufgegeben, sich gegen seine neue Rolle zu wehren. Er war nur noch darauf fixiert, ihre Wurzeln zu erkennen und mit Daphne ins Gespräch zu kommen. Ihm war klar, daß er dabei äußerst behutsam vorgehen mußte. Daphne fühlte sich als Witwe. Er durfte sie nicht schockieren.
Für sie war er Wilson Carrington, ein Fremder.
Wenn er Daphne sagte, was ihm widerfahren war, mußte sie ihn zwangsläufig für schizophren halten, für einen Geistesgestörten, der die Taktlosigkeit besaß, ihre tiefe Trauer mit absurden Märchen zu belasten.
Aber wie sollte er ihr klarmachen, daß sich hinter dem Namen und dem Gesicht von Wilson Carrington kein anderer als ihr Mann, ihr geliebter Leroy verbarg?
Nun, es gab schon eine Möglichkeit. Er konnte immerhin mit Details aus ihrem gemeinsamen Leben und Intimbereich aufwarten, die kein Dritter wußte. Worte, die in heißen Nächten nur flüsternd weitergegeben wurden,
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