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093 - Neun Leben

093 - Neun Leben

Titel: 093 - Neun Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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geklärt, ganz zu schweigen vom Disput der Bäcker über die richtige Größe eines Brotlaibs.«
    Black unterdrückte ein Grinsen, als Drax das Gesicht verzog.
    Es war nicht leicht, ein König zu sein.
    »Hast du nicht etwas vergessen, Johaan?« Gertruuds butterweiche Stimme ließ erkennen, dass sie genau wusste, dass es so war.
    »Was… oh. Natürlich. Mein König, bitte lernt Eure persönliche Leibwache kennen.« Er klatschte in die Hände.
    »Miouu!«
    Das schwarzhaarige Mädchen, das auf sein Kommando in den Raum kam, war höchstens achtzehn und ungewöhnlich hübsch.
    Sie war klein und schlank, doch unter der spärlichen dunklen Lederkleidung zeichneten sich harte Muskeln ab. Ein Schwert mit verziertem Griff hing von ihrem Rücken, zwei Wurfmesser steckten im Gürtel.
    Sie sank vor Drax auf die Knie und neigte den Kopf.
    »Mein Leben für Euch, mein König«, sagte sie. Ihre Stimme war wie ein Schnurren.
    Aruula hob die Augenbrauen.
    ***
    Es war ihre früheste Erinnerung. Sie konnte nicht viel älter als zwei Jahre gewesen sein, hatte gerade erst laufen gelernt und saß auf einem Karren neben einem großen Mann. Er trug eine dunkle Hose, die an den Knien aufgescheuert war. Die Zügel lagen locker in seinen Händen. Sie wusste nicht, was für ein Tier den Karren zog oder welche Waren darauf lagen; es gab nur diesen einen Ausschnitt, der Rest versank im Nebel.
    Er hatte blaue Augen, die starr nach vorne blickten, und ein braunes bärtiges Gesicht. Die Mütze hatte er tief ins Gesicht gezogen, sein Oberkörper war nackt. Es war heiß an diesem Tag.
    Er sprach nicht zu ihr, während der Karren durch den Wald fuhr, und er sah sie nicht an. Sie zog an den Flicken auf seiner Hose und an seinen Fingern, um beachtet zu werden, aber es war fast so, als säße sie neben einer Stoffpuppe.
    Der Mann war ihr Vater, das spürte sie auch über eine Entfernung von sechzehn Sommern. Sie hatte oft versucht, eine Erklärung zu finden für das, was an diesem Tag geschehen war.
    Nachts hatte sie wach gelegen und Geschichten erfunden über ihren Vater, Geschichten, in denen er sie vor einem furchtbaren Schicksal rettete und selbst heroisch starb. In anderen Nächten war es ihre Mutter, die ihn zwang, sie auf den Karren zu setzen und in den Wald zu fahren. Sie hatte keine Erinnerung an ihre Mutter, nur an ihren Vater und seine blauen starren Augen.
    Vielleicht war es eine Hungersnot, die ihn zu seiner Tat zwang, doch das war nicht heroisch genug, denn ein Mann wie er hätte sich eher selbst das Leben genommen. Eine Krankheit dann, eine schreckliche Seuche, die seine Familie dahin raffte, bis nur noch er und sie geblieben waren. Als er die Krankheit in sich spürte, tat er das Einzige, was er tun konnte, und brachte seine geliebte Tochter in Sicherheit.
    Nur dass er eben das nicht getan hatte. Er hatte sie im Wald ausgesetzt.
    In ihrer ersten Erinnerung hielt er den Wagen an und hob sie von der Holzbank. Er hatte starke, schwielige Hände und schwarze Ränder unter den Fingernägeln. Der Waldboden war weich und warm. Der Mann mit der dunklen Hose strich über ihren Kopf, ging zurück zum Wagen und wendete ihn auf dem Weg.
    Sie sah ihm nach, als er in der Ferne verschwand, aber erst als es dunkel wurde, fing sie an zu weinen.
    Ein Teil von ihr glaubte an die Geschichte mit der Hungersnot, der Krankheit und dem heroischen Tod. Manchmal glaubte sie sogar so fest daran, dass sie die Bilder in ihrem Kopf sah. Dann bedauerte und liebte sie ihren Vater.
    Doch da war noch etwas anderes, tief verborgen unter der ersten Erinnerung. Es war nur eine Ahnung, die sie in ihren Träumen spürte und die verging, wenn sie danach greifen wollte. Da waren ihr Vater, ihre Mutter und sie, aber neben ihr sah sie noch jemanden, einen kleinen Körper, der ihr den Rücken zudrehte.
    Sie hatte Angst vor den Träumen, in denen er sich umdrehte, denn wenn sie in sein trauriges, bleiches Gesicht sah, wusste Miouu, dass sie ihn getötet hatte.
    ***
    Black verzichtete auf eine Begleitung, ließ sich nur erklären, welchen Teil der Stadt man als gottesfürchtiger Mann meiden sollte. Dorthin machte er sich auf den Weg.
    Beelinn war kaum mit der Stadt zu vergleichen, über die Commander Drax berichtet hatte. Die Menschen trugen Kleidung, keine Felle, es gab Bäckereien, Schneidereien und Tavernen. Der große Marktplatz war wegen der Absperrung der Stadt nur halb aufgebaut, aber die angebotenen Waren reichten aus, um die Bevölkerung zu versorgen. Wer Geld hatte, musste

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