0931 - Shinigami
beantworten.« Nicole lehnte sich zurück und nahm noch einen Schluck ihres mittlerweile kalten Kaffees. »Sagen wir doch du zueinander. Ich bin Julie. Yasmina, hast du Lust, auf Dämonenjagd zu gehen?«, fragte sie.
Die starrte sie mit großen Augen an.
***
»Also, ich halte das für eine ganz miese Idee!« Yasmina Azari bremste mit quietschenden Reifen vor einem der Hochhäuser im Stadtteil Gennevilliers.
»Ich nicht«, sagte Nicole leichthin. Nici, du bist verrückt. Zivilisten haben in so einer Operation nichts verloren! Nicole verscheuchte die Stimme Zamorras ärgerlich und dachte, wie gut diese Ermahnung zu dem Quatsch von CHAVACH passte, von dem sie letzte Nacht wieder geträumt hatte. Für einen Moment dachte sie daran, dass der Chef vielleicht die Albträume inszeniert hatte, um sie wieder zurück ins Schloss zu locken, doch dann schalt sie sich selbst. Zu solchen Mitteln hätte Zamorra nie gegriffen, und das weißt du auch verdammt gut, Nicole.
»Hören Sie, Yasmina. Sie wollen wissen, was denn nun an Ihren Sichtungen dran ist, oder? Und ich muss diesen Totengeist finden. Denken Sie an Paulette. Wenn sie wirklich recht hat und nicht die Krankheit, sondern der ominöse Schatten hat Claude umgebracht, dann hat sie die Unterstützung der deBlaussec-Stiftung verdient und wird einen angenehmeren Lebensabend haben als jetzt. Und ich werde mich dafür einsetzen, dass Sie auch etwas abbekommen«, fügte sie hinzu. Keine Ahnung, ob Landru so was tut, aber einsetzen werde ich mich wirklich , dachte sie etwas kleinlaut.
Yasmina stellte ihren klapprigen, alten Citroën vor einem der unansehnlichen Wohnblocks ab, aus denen die Gegend bestand. »Na ja«, sagte sie, während sie so heftig die Handbremse zog, dass Nicole Angst um das Zugseil hatte. »Ich hatte eigentlich vor, den ganzen Quatsch nicht mehr zu machen und mir etwas Ehrlicheres zu suchen.«
»Sie tun es jetzt für einen guten Zweck. Und wir würden ja Ihrer Freundin Alphonsine helfen, wenn die nicht noch ein paar Tage im Krankenhaus wäre.«
»Jaja«, murmelte Yasmina, schnappte ihre Teppichtasche hinter dem Sitz hervor und ging auf den Eingang zu. Nicole folgte ihr.
Die Wohnung von Yasminas neuestem Kunden war ganz normal eingerichtet, mit den üblichen Ikeamöbeln und ein paar Kunstdrucken an der Wand. Die Aussicht aus dem 12. Stockwerk auf Paris hätte ihr den Atem geraubt, wenn das Wetter ein wenig besser gewesen wäre. Immerhin konnte Nicole den Eiffelturm in der Ferne erkennen.
Yasmina stellte erst sich und dann Nicole vor, die sich absichtlich einen Tick zu modisch angezogen hatte. So konnte sie als Reporterin des schicken Lifestyle-Magazins Paris Flash durchgehen, die einmal einem »echten« Medium bei der Arbeit über die Schulter gucken und dann berichten wollte.
Misstrauisch wurde sie von Yasminas Kunden beäugt. »Sie arbeiten für den ›Flash‹, Mademoiselle? Aber meinen Namen will ich nicht genannt haben, damit das klar ist!«
Nicole befleißigte sich eines zuckersüßen Lächelns. »Ja, ich arbeite für den ›Flash‹. Aber es geht mir eher um Yasmina und ihre Arbeit. Keine Sorge, ich werde Ihren Namen nicht nennen, wenn Sie das nicht wollen, Prosper.«
Der junge Mann reichte ihr zögerlich eine Hand. Nicole lief ein Schauder über den Rücken, als sie spürte, dass der junge Mann keinen Händedruck hatte. Feucht und kalt, das ist eklig! , dachte sie und ließ Prosper Leloux schnell wieder los. »Nein, das wäre mir nicht recht«, murmelte er. »In der Finanzbehörde lesen einige Kolleginnen den ›Flash‹. Die müssen nicht wissen, dass ich Madame Azari herbestellt habe, um mir den Weg ins Jenseits zu sichern.«
»Ich werde nichts weiter tun, als für Prosper mit dem Erzengel Uriel persönlich zu sprechen, damit dieser ihm am Tag seines Todes freundlich gesonnen ist«, schaltete sich Yasmina jetzt ein und zog Prosper am Arm hinüber zu einem der Sessel.
Nicole nickte wieder freundlich und verzog sich auf das gegenüberliegende Sofa, wo sie das Zimmer gut im Blick hatte. Sie überließ die Szenerie Yasmina, nachdem sie ihr einen aufmunternden Blick zugeworfen hatte. »Tun Sie so, als wären Sie nicht da.«
Yasmina machte sich an die Arbeit. Sie hatte Prosper Leloux in einen seiner Sessel bugsiert und bedeutete ihm, er möge dort sitzen bleiben. Dann zog sie aus den unergründlichen Tiefen ihrer abgewetzten Gobelintasche ein Stück Kreide. Nach einem langen Blick auf Nicole begann sie, die dunklen Teppichfliesen von Prosper
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