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0931 - Shinigami

0931 - Shinigami

Titel: 0931 - Shinigami Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Picard
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Leloux mit den Zeichen zu bemalen, die sie am Tag vorher mit Nicole in deren Appartement geübt hatte. Nicole hatte ganz sicher gehen wollen, dass heute wenigstens eines der beiden Wesen aus der Zwischenwelt auftauchte. Hin und wieder warf sie Nicole einen genervten Blick zu, den Nicole beruhigend beantwortete.
    Eigentlich hatte Yasmina Monsieur Leloux nicht besuchen wollen, sondern sich stattdessen um Nanas Freundin Alphonsine Daladier kümmern wollen - das schien ihr dringlicher. Nicole hatte ihr insgeheim zugestimmt, aber sie waren an Alphonsine nicht herangekommen. Ein kurzer Besuch bei Alphonsine im Krankenhaus hatte ihr recht gegeben.
    Mademoiselle Daladier lag noch in der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie, weil man aufgrund ihrer anhaltenden Schwäche und ihrer Figur als Laufstegmodel glaubte, sie leide unter einer besonders schweren Form der Unterernährung und sei außerdem tablettensüchtig. Anders konnten sich die Ärzte ihre »Halluzinationen«, wie sie das nannten, nicht erklären. Nicole hätte ihnen bestätigen können, dass Alphonsine recht hatte mit ihren »Geschichten«, aber davon abgesehen, war ihr die Sache auch zu heiß gewesen. Alphonsine schien wirklich am Rand eines Nervenzusammenbruchs zu sein, es wäre viel zu gefährlich gewesen, sie wieder dem Risiko eines Treffens mit diesem Dämon auszusetzen. Nicole war diese Sache zu heiß. Was, wenn es schiefging und ihr Name würde in die Sache verwickelt? Das würde derzeit nur auf die deBlaussec-Stiftung zurückfallen und negative Presse konnte diese nun weiß Gott nicht gebrauchen.
    Nun ja, jetzt saß sie hier und würde sich - hoffentlich - an diesem farblosen Finanzbeamten schadlos halten, dem sicher nichts passieren konnte. Nicole fasste in ihre Tasche und legte die Finger um den Dhyarra-Kristall, den sie mitgebracht hatte. Sie wollte ihn sofort aktivieren können, wenn auch nur das kleinste Bisschen schiefzugehen drohte.
    Yasmina war noch nicht halb fertig mit den Zeichen auf dem Boden, als Nicole auf einmal ein furchtbarer Schwindel überfiel. Alles um sie herum begann sich zu drehen. Sie schloss die Augen und versuchte, das Gefühl zu verscheuchen. Vergeblich. Im Gegenteil, es schien sich sogar noch zu verstärken. Sie riss die Augen wieder auf und suchte nach einem Punkt im Zimmer, an dem sie sich festhalten konnte, damit es sich nicht mehr um sie herum drehte.
    Ihr fahriger Blick blieb wie gebannt auf den Zeichen hängen, die Yasmina da auf den Teppich malte. Doch diese standen gar nicht still. Sie schienen lebendig zu tanzen und sich zu bewegen. Lebendige Kreidezeichen? Was für ein Unsinn. Nicole versuchte, sich gerade hinzusetzen und langsam zu atmen. Doch die weißen Zeichen auf dem dunkelbraunen Boden schienen nur noch schneller durcheinanderzuwirbeln. Nicole, die immerhin einige davon kannte, konnte keines mehr erkennen.
    Warum hat Yasmina die Zeichen so schlampig auf den Boden gemalt? Sie sollte das doch ordentlich machen , dachte Nicole ärgerlich und versuchte, tief Luft zu holen und gegen den Würgereiz anzukämpfen. Den konnte sie unterdrücken, doch das Schwindelgefühl nahm jetzt eher noch zu.
    Nicole konnte den Blick nicht mehr vom Boden wenden. Wie hypnotisiert starrte sie auf die weißen Zeichen, die sich wie Schlangen auf dem Boden kringelten und sie… einzuladen schienen. Einladen? , dachte Nicole noch verwundert. Warum mich? Ich bin doch kein Totengeist. Und ich bin ja auch schon hier. Sie kniff die Augen zusammen und riss sie wieder auf. Da drüben. In der Ecke. Ein Schatten. Ein Schatten?
    Einen Moment später wurde ihr schwarz vor Augen. War das wirklich ein Schatten gewesen oder verlor sie das Bewusstsein? Bevor Nicole sich diese Frage beantworten konnte, war sie bereits im Dunkel der Ohnmacht versunken.
    Sie spürte nicht mehr, wie sie von der Couch, auf der sie das Ende des Rituals hatte abwarten wollen, hinunter auf die unansehnlichen braunen Teppichfliesen rutschte.
    ***
    Nicole kämpfte mit den übermächtigen Eruptionen der Lava. Ihre Flügel, die sie über den Lavasee hinweg hatten tragen sollen, waren der Hitze entschieden zu nahe gekommen. Sie spürte keine Schmerzen, aber trotz der glühend heißen Aufwinde über dem See konnte sie sich kaum noch in der Luft halten. Es war, als zerre ein übermächtiger Geist an ihren Gedanken und zöge sie immer weiter in die Tiefe, in der die Monster, die in dem rot glühenden und flüssigen Gestein zu Hause waren, nur darauf warteten, sich über sie herzumachen.

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