0932 - Das 14. Siegel
bitte dich noch einmal, mir zu vertrauen! Mir bleibt nicht mehr viel Zeit.«
Also war die Katze tatsächlich eine Inkarnation Merlins gewesen. Oder der Kater. Oder wie auch immer. Eine Merlinkarnation, wenn man so wollte. »Was soll das heißen?«
»Ich verlösche. Es dauert nicht mehr lang.« Er streckte die Hand nach Zamorras Arm aus und hob fragend die Augenbrauen. »Bitte, lass mich nicht versagen. Nicht jetzt, wo ich endlich die richtige Zeit gefunden habe.«
Zamorra hatte zwar schon wieder keine Ahnung, wovon die Merlinkarnation sprach, aber er beschloss, ihr den Gefallen zu tun. Er drückte den Arm gegen Merlins Hand und öffnete die geistige Abschirmung.
Wieder spürte er die Energie, den Sog der Sinne. Da er sich diesmal aber nicht dagegen wehrte, geschah noch etwas anderes.
Die Umgebung veränderte sich! Die Höhle zerfloss und wurde zum Inneren einer kleinen, kärglich eingerichtete Hütte. Das flackernde Licht dreier dicker Kerzen auf dem einzigen Tisch beleuchtete den Raum nur spärlich. Auf einem einfachen Stuhl saß ein alter Mann in einer weißen, kapuzenlosen Kutte mit einem breiten Gürtel, in dem eine goldene Sichel steckte. Trotz seines erkennbaren Alters wirkten die Augen jung und strahlend.
»Merlin?«, fragte Zamorra.
»Sei still!«, antwortete die Stimme des Magiers. Doch sie kam nicht von dem alten Mann am Tisch, sie erklang direkt in Zamorras Kopf. »Er kann dich nicht sehen. Du bist auch nicht wirklich hier, sondern nimmst über mich nur an seinen Erinnerungen teil. Und nun sei still und lerne!«
»Wer von uns plappert denn wie ein Wasserfall?«
»Pssst!«
Zamorra fügte sich und beobachtete.
»Dieser Logan!«, sagte der Merlin am Tisch. »Was für ein Sturkopf. Dem Himmel sei Dank, dass ich ihn auf den rechten Weg bringen konnte!«
Der Dämonenjäger erinnerte sich an Rhetts Erzählungen, nach denen er als Logan eine tiefe Existenzkrise durchlebt hatte und sich hatte weigern wollen, einen Auserwählten zur Quelle des Lebens zu führen. Beinahe wäre er an dem Schmerz zerbrochen, den Krychnak ihm durch den Angriff auf seine Familie bereitet hatte. Merlins eindringliche Worte hatten ihm jedoch seine Aufgabe ins Gedächtnis zurückgerufen.
Diese Erinnerung musste folglich kurz danach anzusiedeln, also etwa zweitausend Jahre alt sein.
Plötzlich schwebte ein Wirbel aus blassen Schlieren über dem Tisch. Das Phänomen sah aus wie ein Hurrikan von oben. Nur viel, viel kleiner. Und es kam Zamorra verdammt bekannt vor! Er ahnte, was gleich geschehen würde.
Er irrte sich nicht! Mit einem kurzen rülpsenden Geräusch würgte der Strudel ein Buch aus. Das Buch, das auf genau die gleiche Art auf seinem Schreibtisch gelandet war.
Merlin sprang auf und der Stuhl kippte um.
Während der Farbenwirbel zerfaserte, zogen Stimmfetzen durch den Raum. Ein Hauch nur und nicht immer deutlich zu vernehmen. Eine fremde Sprache, die Zamorra trotzdem verstand. Vermutlich deshalb, weil Merlin sie verstand. Und obwohl sie nicht sehr laut sprach und immer wieder verwehte, klang die Stimme panisch. Als leide der unbekannte Sprecher Todesängste.
»Merlin… mächtige Kräfte… überhaupt erreicht… Vision der Götter… Xuuhl hat Lemuria und den Rest… verwüstet… zu spät… Erbfolge bedeutet das Ende der Welt… gestoppt werden… entstand… töte den Erbfolger… LUZIFER… triumphieren… zurück an die Anfänge… Erbfolger muss sterben!«
Dann kehrte Ruhe ein. Die letzten Spuren des Strudels verblassten.
Zamorra stockte der Atem. Er konnte keinen allzu großen Sinn in den Worten erkennen, außerdem war ihm der Begriff Xuuhl völlig fremd. Doch dass der Unbekannte auf den Erbfolger nicht gut zu sprechen war und ihn am liebsten tot gesehen hätte, war offensichtlich. Aber warum? Weil die Erbfolge das Ende der Welt bedeutete? Und was sollte dieses zurück an die Anfänge heißen?
Als von dem fremden Zauber nichts mehr zu sehen war, entspannte sich Merlins Körperhaltung erkennbar. Er trat auf den Tisch zu und strich mit den Fingern über den Buchdeckel.
»Zeitmagie«, murmelte er. Dann öffnete er das Buch - und blätterte darin!
Der Meister des Übersinnlichen glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Die Seiten des Wälzers waren nicht versiegelt! Merlin konnte in dem Buch lesen wie in jedem anderen auch.
Der Magier stellte den Stuhl wieder auf, setzte sich und war Sekunden später in seiner Lektüre versunken.
»Worum geht es in dem Buch?«, fragte Zamorra.
Erneut erklang die Antwort
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