0932 - Grausame Zeit
entgegen.
Neben einer kleinen Treppe, die hinab zum normalen Gartenniveau führte, verharrte er. Leicht aufgerichtet schaute er über die Fläche hinweg, vorbei an den Möbeln und konnte einen Blick in das Wohnzimmer erhaschen.
Die Frau war da.
Ein Stein fiel ihm vom Herzen. Er sah sie, aber sie hatte kein Licht eingeschaltet. Zudem war sie von einer gewissen Unruhe erfaßt worden, denn sie ging ständig auf und ab, setzte sich mal hin, stand wieder auf und trat auch an das Fenster heran, um einen Blick in den Garten zu werfen, der stets ziemlich lange dauerte, als wäre sie dabei, den Garten zu durchsuchen. Ahnte sie etwas? Schöpfte sie Verdacht? Das konnte möglich sein, mußte aber nicht. Buzea wartete darauf, daß die Frau die Tür zur Terrasse öffnete, was sie nicht tat.
Statt dessen ging sie wieder zurück.
Der Mann überlegte. Er wollte an sie heran. Der Plan stand fest. Aber ihm gefiel das Verhalten dieser Person nicht. So bewegte sich niemand, der allein war und keine Angst hatte. Irgend etwas war mit der Frau geschehen. Wußte sie Bescheid? Hatte der Henker seine Frau gewarnt?
Rechnete er damit, daß sie Besuch bekommen würde?
Buzeas Gedanken brachen ab, als er den Lichtschein sah. Nicht im Wohnraum, sondern in einem anderen. Wahrscheinlich im Flur, denn eine Tür stand weit offen.
Das hatte etwas zu bedeuten.
Er hielt den Atem an.
Um mehr sehen zu können, mußte er näher an die Scheibe heran. Er huschte auf die Terrasse und hatte sie schnell überwunden. Dicht vor der Scheibe, an der Regenschlieren entlangrannen, sah er trotzdem besser. Die Frau war dabei, ihren hellen Bademantel auszuziehen. Für einen Moment sah er sie völlig nackt, und das Leuchten in seinen Augen wurde noch wilder. Dann war sie verschwunden.
Sie war eine große, eine starke Frau, mit der er sicherlich noch seinen Spaß haben würde. Wenn ihn nicht alles täuschte, war sie eine Treppe hochgegangen. Sicherlich würde sie sich etwas anziehen und dann wieder zurückkehren.
Wenn nicht, dann… Er wollte warten.
Fünf Minuten höchstens - keine Sekunde länger. So lange brauchte er gar nicht mal in der Nässe zu hocken, denn die Frau des Henkers erschien abermals auf der Treppe und lief nahezu leichtfüßig die Stufen hinab. Sie war jetzt angezogen, blieb im Flur und damit im Licht stehen und sah aus, als würde sie überlegen.
Für Buzea war die Sache klar. Wer sich so verhielt, der stand dicht davor, das Haus zu verlassen.
Plötzlich wurde der Mann schnell. Er hatte seinen Plan blitzartig geändert. Buzea huschte um das Haus herum, um den vorderen Eingang zu erreichen, der glücklicherweise von der Straße her nicht eingesehen werden konnte, weil er im Schutz hochwachsender Büsche lag. Durch die dünne Glaseinfassung der Tür schimmerte gelbliches Licht nach draußen. Buzea konnte sehen, daß sich hinter der Tür jemand bewegte. Zwei halbrunde Stufen führten zu ihr hoch, und der Mann, der einen Busch als Deckung ausnutzte, bekam mit, wie die Frau die Tür öffnete.
Sie wollte tatsächlich verschwinden.
Nicht mit ihm.
Blitzartig war er da. Er hörte einen leisen Schrei der Überraschung, dann rammte er seine Faust vor, spürte etwas Weiches beim Aufprall unter ihr.
Ein Körper flog zurück in das Haus. Rudernde Arme rissen eine Vase zu Boden, die nicht zerbrach, weil sie aus Metall war, und dann rammte Alfons Buzea die Tür zu.
Das Licht hatte Gerda noch nicht gelöscht. Sie saß auf dem Boden, eine Hand vor dem Mund, wimmerte leise, und dann hörte sie die Stimme.
»Ich bin da!«
Gerda Cichon schaute hoch.
Was sie sah, war normal, nur ein Mann, aber trotzdem so furchtbar, daß die Angst sie beinahe erdrückte.
Der würde ihr keine Chance lassen, keine…
***
Harry Stahl schalt sich auch noch eine halbe Stunde später einen Narren, weil ihm der Verfolgte entkommen war. Aber er hatte es nicht ändern können und mußte sich mit den Tatsachen abfinden.
Im Waschraum des Kaufhauses hatte er sich einigermaßen hergerichtet.
Durch den Tritt war noch die Haut an seiner Wange aufgeschürft. Den blutigen Fleck hatte er mit einem Pflaster beklebt. Die Stelle am Hals brannte zwar noch immer, aber diese Schmerzen ließen sich ertragen, weil sie längst nicht mehr so stark waren.
Beim Sprechen hatte er noch einige Schwierigkeiten, doch das würde sich geben.
Stahl verließ das Kaufhaus. Der Regen rieselte, die Welt war grau geworden, und auch die zahlreichen Menschen, die sich durch die Innenstadt bewegten, sahen
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