0932 - Grausame Zeit
aufgerichtet hatten.
Dann schloß sie die Augen und gab sich ganz dem Genuß des nachmittäglichen Bades hin.
Zwanzig Minuten später hatte sie die Wanne verlassen, streifte den knappen Slip über und schlüpfte in ihren flauschigen Bademantel, den sie lässig verknotete.
Das Wasser gurgelte in den Abfluß, und sie stieg die Stufen der Treppe nach unten. Auf halber Strecke störte sie das Klingeln des Telefons. Es gehörte noch zu den alten Apparaten, und Gerda ging schneller. Nach dem vierten Läuten hob sie im Flur ab.
»Ja, hier Cichon.«
»Endlich, Gerda.«
»Du - Anton?«
»Ja, ich.«
»Was ist los?« Sie drehte die Schnur um zwei Finger. »Du rufst doch sonst nicht um diese Zeit an.«
»Das weiß ich selbst. Wo bist du gewesen?«
»Einkaufen, dann in der Wanne. Ich stehe hier im Bademantel und telefoniere mit dir. Darunter bin ich nackt und denke…«
»Hör auf damit, Gerda!«
»Entschuldige«, gab sie sich gekränkt. »Ich kenne dich auch anders, Anton.«
»Aber nicht heute. Ich wollte dir nur sagen, daß ich am Abend bei dir bin.«
»Ach - warum?«
»Paßt es dir nicht?«
»Hör doch auf mit dem Mist! Es ist nur ungewöhnlich - kommt äußerst selten vor.«
»Das stimmt allerdings, und ich habe dafür auch meine Gründe. Wir haben heute einen Typen entlassen, dem ich alles zutraue, denn ich hasse ihn, und er haßt mich. Wir haben uns gegenseitig einige Drohungen an die Köpfe geworfen, und es ist damit zu rechnen, daß er sich rächen will.«
»Rächen?« Gerda überlegte. »An wem denn rächen? Etwa an dir oder an mir?«
»An mich kommt er nicht heran.«
Sie atmete scharf ein. »Dann meinst du also, daß dieser Typ hier bei uns auftaucht?«
»Damit ist zu rechnen. Ich hoffe, daß ich früh genug zu Hause bin. Es ist nicht sicher, aber ich muß davon ausgehen, daß er uns besucht. Zudem habe ich erfahren, daß er seinen Bewacher abgeschüttelt hat. Müller hat einen Anruf erhalten. Wir müssen also auf der Hut sein.«
»Nimmst du das denn so ernst?«
»Das tue ich.«
»Warum denn, Anton? Schon früher hat es Drohungen gegen dich gegeben, und du hast darüber gelacht.«
»Nicht bei ihm, Gerda. Er ist eben anders.«
»Wie heißt er denn?«
»Alfons Buzea.«
Die Frau war plötzlich stumm, denn an diesen Mann konnte sie sich erinnern. Sie hatte ihn damals, auf Zeitungsfotos gesehen und wußte genau, was er getan hatte. »Das ist der Schänder?«
»So nannte man ihn, weil er die Kinder entführt hatte.«
»Scheiße - und er ist frei?«
»Leider ja.«
Eine Gänsehaut rieselte über Gerdas Körper. Sie hatte ihre Sicherheit plötzlich verloren und wischte sich mit der freien Hand fahrig über ihre Stirn. Um sich selbst aufzubauen, fragte sie: »Aber sicher ist es nicht, daß er hier vorbeikommen wird - oder?«
»Nein, aber wir müssen damit rechnen.«
»Gut, einverstanden, Anton. Was soll ich tun?«
»Nicht öffnen, wenn es klingelt.«
»Und weiter?«
»Das reicht schon.«
»Sicherheitshalber schließ ich die Tür ab.«
Der Henker knurrte ärgerlich. »Das wird gegen ihn nicht viel helfen, denn er ist verdammt raffiniert, und er läßt sich von nichts und niemandem von seinem Tun abhalten.«
»Gut, es bleibt dabei. Wann ungefähr kannst du hier bei mir sein?«
»Gegen Abend. Zwanzig Uhr, schätze ich.«
Gerda war erleichtert. »Da ist es dann noch hell.«
»Fast!« korrigierte ihr Mann. »Bei dem Wetter wird es schneller dunkel als sonst.«
»Wie du meinst. Beeil dich.«
»Klar.«
Das Gespräch war beendet. Als Gerda Cichon den Hörer auflegte, da durchrieselte sie ein eisiger Schauer. Sie schaute sich um, denn ihr fiel auf, wie düster es im schmalen Flur war.
Die Frau hatte eine trockene Kehle bekommen, was nicht allein am langen Sprechen lag. Auch die Furcht vor dem Schänder trug dazu bei.
Leise, um auch jedes Geräusch hören zu können, bewegte sie sich auf das Wohnzimmer zu. Dort blieb sie in der offenen Tür stehen und schaute in den schattigen Raum. Sie sah auch durch das breite Fenster in den Garten, und ihr fiel jetzt besonders auf, daß die Büsche dort viel zu dicht wuchsen und unbedingt hätten beschnitten werden müssen.
Denn so boten sie einem Eindringling ein gutes Versteck.
Die Rollos wollte sie nicht vor das Fenster fahren lassen, dann kam sie sich erst recht eingesperrt vor. Aber sie wollte bei ihrem ursprünglichen Plan bleiben und einen guten Schluck trinken. Die Flasche holte sie zusammen mit dem Glas aus dem Schrank, schenkte den Schwenker
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