0933 - Die Horror-Mühle
als sonst…
***
Helga Stolze war nicht mehr dieselbe Person wie noch vor einem oder zwei Tagen. Sie hatte sich zwar äußerlich nicht verändert, aber ihre innere Einstellung war eine andere geworden. Das wußte sie genau. Das stand für sie fest. Sie hatte sich gedreht. Sie wollte sich wieder um ihre Kinder kümmern, wie es sich für eine Mutter gehörte. Daß es Tiefschläge geben würde, wußte sie auch. Der Dämon Alkohol würde sie nicht so schnell aus seinen Klauen entlassen. Später würden ihr die Kinder vielleicht neuen Halt geben. Die Kinder!
Noch immer war es für Helga Stolze so gut wie unfaßbar, daß sich Silvia und Jens in einer derartigen Lage befanden. Bisher war deren Leben in einem normalen Rahmen verlaufen, aber seit heute hatte sich auch unter ihnen eine Falltür geöffnet, die sie verschlang. Sie waren hinein in das Dunkel gezerrt worden, ohne daraus wieder hervorkommen zu können.
Zumindest nicht aus eigener Kraft.
Die Mühle war der Frau bekannt. Wie oft war sie schon an ihr vorbeigegangen und früher auch an ihr vorbeigefahren, doch heute sah sie das alte Bauwerk mit anderen Augen an.
Das Mühlrad stand still, es war zerbrochen. Im Vergleich zu den mächtigen Flügeln kam sich Helga Stolze sehr klein und gering vor, und als sie an ihnen hochschaute, da entdeckte sie auch dort die Zerstörungen.
Einige Sparren hingen nur mehr als Fragmente fest.
Sie hatte auch die schlimme Vorstellung gehabt, daß jemand ihre Kinder an diese Flügel gefesselt hatte, um sie so zu quälen, das aber war zum Glück nicht eingetroffen.
Unbeweglich standen sie an der Mühle, wie die starren Totenarme eines Monsters.
Vor der Tür blieb sie stehen. Es war ein völlig normaler Eingang, an dem sich nichts verändert hatte. Der Schmutz klebte an ihm und auch am Mauerwerk fest. Sie hatte einige Fenster gesehen, bei denen die Scheiben kaum einen Durchblick zuließen. Es war eine Mühle, aber für Helga Stolze hatte sie sich in ein gewaltiges Grab verwandelt.
War die Tür offen?
Sie wußte es nicht. Sie hoffte es, auch wenn sie plötzlich im Innern den Tod vor sich sah.
Der Tod begrüßte sie nicht. Dafür eine graue Finsternis, die nur dort aufgehellt wurde, wo etwas Tageslicht durch die schmutzig grauen Scheiben sickerte.
Helga Stolze hatte sich durch den Spalt gedrängt und war sehr bald stehengeblieben. Die Tür ließ sie offen, als sie in die ihr leer vorkommende Mühle hineinlauschte, aber nichts hörte.
Nicht ihre Kinder, auch nicht diesen Fremden. Im Innern war es still. Die Wände schienen diese Stille aufgesaugt zu haben, und nicht ein geflüstertes Wort war zu hören.
Mit der Schulter drückte sie die Tür wieder zu.
An ihrem ersten Eindruck veränderte sich nichts. Wo immer sie auch hinschaute, dieser Raum hier unten blieb einfach leer. Nichts war zu sehen. Es gab keine Bewegung. Nicht mal eine Maus oder eine Ratte kroch über den schmutzigen Boden.
Staub lag nicht nur dick auf dem Boden, er schwebte auch in der Luft, als traute er sich nicht, sich schnell wieder zu senken. Und sie stellte noch etwas fest.
Auf der Staubfläche zeichneten sich Spuren ab. Unterschiedlich große Fußabdrücke, zu denen sie auch die ihrer Kinder zählte. Ein Abdruck eines Erwachsenenschuhs war ebenfalls vorhanden.
Helgas Herz schlug schneller. Der Atem stockte ihr.
Sie wischte über ihr Gesicht, fing an zu zittern, denn was sie vor sich sah, war der Beweis. Die Kinder waren in diese verdammte Mühle hineingelockt worden, und sie mußten irgendwo stecken.
Wahrscheinlich nicht hier unten, denn die Spuren näherten sich einer Holzstiege, die an der rechten Seite mit einem ebenfalls hölzernen Geländer versehen war.
Vor der Stiege blieb Helga Stolze stehen. Sie wußte jetzt, daß der entscheidende Weg vor ihr lag, und dieses Wissen sorgte bei ihr für weiche Knie.
Sie war alles andere als eine Maschine. Sie reagierte wie ein Mensch, und Menschen haben nun mal Angst.
Aber ich muß da hoch! sagte sie sich. Ich muß es. Schwerfällig bewegte die Frau den rechten Arm zur Seite, um die Hand auf das Geländer zu legen, wo sie auch blieb, denn Helga braucht die Stütze jetzt. Ihre Gedanken schlugen wahre Purzelbäume. Alles ging in ihrem Kopf wirr durcheinander, und Helga fragte sich, was geschehen würde, wenn sie die Treppe hochstieg. Von oben hörte sie nichts. Waren die Kinder schon tot? Würde sie die Leichen finden? Der Gedanke daran ließ sie beinahe verzweifeln und wieder an den Rückweg denken, aber ein
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