Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0936 - Schattentheater

0936 - Schattentheater

Titel: 0936 - Schattentheater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Picard
Vom Netzwerk:
sehnsüchtigen Heulen, leise erst, als sei es noch Kilometer entfernt, doch es näherte sich mehr und mehr.
    Am liebsten hätte er vor Angst aufgeschrien. Doch er wusste, das würde ihm Kraft entziehen und die Schatten nähren. Und sie kamen immer noch näher, umringten ihn und rückten vor, egal, welche Haken er schlug.
    Schließlich hatte ihn einer der Schatten erreicht. Berührte ihn mit einem eiskalten Finger, einer Kälte, die durch seinen ganzen Körper lief. Der Schatten umschlang ihn, durchdrang seinen Körper. Bemächtigte sich seiner. Und fraß seine Lebensenergie.
    Seine Schritte wurden langsamer, er keuchte. Seine Muskeln schmerzten, Schweiß brach ihm aus, als er das jetzt crescendoartig ansteigende Heulen um sich herum hörte, das wütende Kreischen der Schatten, die eifersüchtig auf den waren, der sich seiner bemächtigt hatte und nun der Nutznießer seiner Gegenwart war.
    Er blieb stehen und zitterte, ihm war kalt bis auf die Knochen. Wieder fühlte er, wie ihm ein großer Teil seiner Kraft abgesogen wurde. Er schrie auf und wehrte sich, schlug um sich, versuchte, den Schatten loszuwerden…
    ***
    ... und saß aufgerichtet und schweißgebadet auf seinem Futon, die Decke wie eine Schlange um ihn gewunden. Was für ein furchtbarer Albtraum , dachte Koichi Ieyasu und fragte sich, was ihn in letzter Zeit so schlecht träumen ließ. Er hatte bereits öfter geträumt, dass er sich in der Yomo-tsu-kuni befand, nach dem Shinto-Glauben dem Land der Gestorbenen. Immer wieder war er darin herumgeirrt, unter dem dräuenden, düsteren Himmel.
    Doch bisher war er in seinen Träumen immer der Herr in diesem Reich gewesen. Er hatte über die Schatten geherrscht, über die Knochen, niemand dort hatte ihm schaden wollen. Auch das war furchtbar für den Schauspieler und Theaterdirektor gewesen, der im täglichen Leben ein freundlicher Mensch und dem friedlichen Zen-Buddhismus zugewandt war. Nun ja , dachte Ieyasu Koichi. Ich war nicht wirklich der Herr dieses Reiches. Aber ein wichtiger Diener des wahren Herrn. Ich war so etwas wie ein Hirte der Toten. Keiner hat es gewagt, mich dort anzugreifen. Die Landschaft war meine Heimat. Und Hunger hatte ich, der nur von Lebenden gestillt werden konnte. Doch es war mein Recht und selbst die Knochen und Schatten wussten, dass es mein Recht war.
    So furchtbar die Träume auch waren, Ieyasu hatte immer das Gefühl, dass dort seine Heimat war und alles in der vorbestimmten Ordnung dort ablief. Es hatte ihn beunruhigt, dass er träumte, er sei ein Hirte der Toten, ein Dämon gewissermaßen, aber er hatte das auf die schrecklichen Morde nach seinen Gesellschaften geschoben. Hinzu kam, dass er gerade ein Stück auf dem Spielplan hatte, in dem er selbst eine menschenfressende Dämonin spielte. Er hatte sich viele Gedanken gemacht, was diese Alte in der Einsiedlerin wohl zu einem solchen Wesen gemacht hatte - kein Wunder eigentlich, dass sich das nachts in seinen Träumen niederschlug. Er hatte dem nicht sehr viel Bedeutung beigemessen.
    Aber das heute war neu. Noch nie hatte ich das Gefühl, dass ich vor den Schatten, die mich in der yomi-no-kuni umgeben, fliehen müsste. Im Gegenteil, sie haben mich respektiert. Und ich hatte eine Waffe. Eine Lanze. Die Toten hatten Respekt vor ihr und mir, ihrem Träger.
    Ja, eine Waffe , dachte der Theaterdirektor und sah sich in dem großzügigen Raum über dem Bühnenraum des Kokuritsu-Theaters um, den er bewohnte. Seine Kehle fühlte sich so trocken an, als hätte er wirklich erst vor Kurzem eine Wüste durchquert. Er ging zum Fenster und sah über die Stadt. Das Kokuritsu stand etwas erhöht und so hatte Ieyasu hier von diesem Dachfenster seines Theaters einen Blick über das glitzernde Tokio. Der Verkehr war nur schwach zu hören, viel lauter war das Rauschen seines Wasserfalls im Garten und auch des kleinen Bambusbrunnens mit der Schale, die dreimal in der Minute voll lief und sich dann klackernd entleerte.
    Ich möchte wirklich wissen, was hinter den Albträumen steckt , dachte er müde, während er sich ein Glas Mineralwasser eingoss und durstig leerte. Langsam beruhigte sich sein Puls, während der Bambusbrunnen unten erneut klackte. Er ging an seinen Apothekenschrank und nahm ein leichtes Beruhigungsmittel, das er vor einigen Tagen von der Apotheke seines Vertrauens bekommen hatte. Garantiert auf homöopathischer Basis.
    Ich werde morgen unbedingt noch einmal mit Minamoto-san und seiner französischen Kollegin sprechen müssen. Beide sind

Weitere Kostenlose Bücher