0936 - Schattentheater
darauf angesprochen. Unwillkürlich erschauderte sie. Sie wusste, wie vorschriftengläubig Landru war und dass er es eigentlich gar nicht schätzte, wenn seine Angestellten die Dinge in die Hand nahmen. Schon mehrfach hatte er Julie Deneuve alias Nicole deswegen die Hölle heißgemacht.
Hatte er sie nur behalten, weil er wusste und sich darauf verließ, dass eine Nicole Duval sehr wohl wusste, was sie tat? Wenn Landru wirklich ihre falsche Identität entdeckt hatte, was kam dann als Nächstes? Dass er auf dem Château anrief und erzählte, wie es Mademoiselle Nicole ging und wo sie sich aufhielt? Ohne, dass sie lange nachdachte, schossen ihr Bilder des aufgeregten Rhett durch den Kopf, eines fröhlich krähenden Fooly ( »Mademoiselle Nicole, ich wusste, Sie halten's nicht lange ohne uns aus!!«), der vielleicht gar nicht mehr im Koma lag, einer kochlöffelschwingenden Madame Claire, die Nicole sofort einen kräftigen Eintopf aus frischem Gemüse vorsetzte, und Butler William, der seine Freude nur in einem würdevollen Nicken zeigen würde und in dem fröhlichen Chaos wie ein Fels in der Brandung wirkte.
Und dann natürlich Zamorra, der grinste wie ein Honigkuchenpferd. Und in seinen grauen Augen ein glückliches Leuchten, dass sie wieder aufgetaucht war.
Zamorra…
»Madame Deneuve, ich glaube nicht, dass Monsieur Landru viel mehr über Sie weiß, als er mir gesagt hat«, hörte sie jetzt das weich akzentuierte Französisch von Minamoto. Sie schreckte aus den Gedanken auf.
»Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie mit dieser Information beunruhigt habe. Es soll keine Rolle zwischen uns spielen. Sie sind Madame Julie Deneuve und zu zweit werden wir hoffentlich diesen Dämon, der meinen guten Freund Ieyasu besetzt hält, ausschalten können.«
Nicole nickte und leerte erneut ihre Teeschale. »Wenn Sie jetzt noch erklären, warum Sie mir nicht schon während der Vorführung erklärt haben, dass Ihnen die Maske, die ich beschrieb, bekannt ist, dann gebe ich mich für heute zufrieden, Minamoto.«
Das freundliche Lächeln auf dem Gesicht des Japaners verschwand wieder. Er antwortete nicht sofort. »Madame Deneuve, es ist nicht ganz leicht zu erklären. Ich komme aus einer alten Samurai-Familie. Eine Klasse in der japanischen Gesellschaft, in der wir es lange Jahrhunderte hindurch für unter unserer Würde hielten, uns mit dem Tod, Krankheiten und ähnlichen Unreinheiten zu befassen. Seit einigen Jahrzehnten hat meine Familie beschlossen, gegen Dämonen zu kämpfen. Es ist eine lange Geschichte, mit der ich Sie jetzt und hier nicht langweilen will. Vielleicht haben wir noch Zeit dafür, wenn wir unsere Aufgabe erledigt haben. Ich glaube also an Kami, die japanischen Shinto-Götter und Dämonen. Es gibt sie, auch wenn viele Menschen heutzutage ihre Existenz leugnen. Daher glaube ich allerdings auch daran, dass es nicht gut ist, über den Shinigami in aller Öffentlichkeit zu sprechen.«
Nicole sah ihn betroffen an. »Ich habe Tanabe-san auf unserem Weg zu seinem Appartementhaus nach der Maske gefragt. Wollen Sie damit sagen, ich könnte das Unglück auf ihn herabgeredet haben?«
Wieder zögerte Minamoto mit seiner Antwort. »Nein«, sagte er dann. »Ich glaube, dass passiert, was uns vorbestimmt ist. Niemand von uns weiß, was die Götter planen und keiner von uns kann das beeinflussen, was sie mit uns vorhaben.«
»Der Shinigami tauchte auf, als der Dämon sich aus dem Staub gemacht hatte«, berichtete Nicole. »Doch er war schnell wieder verschwunden. Er sagte zu mir, dass er die Seele Tanabe-sans hinüberbringen wollte.« Sie verschwieg wohlweislich, dass der Shinigami sie auf seine Art wie eine alte Bekannte begrüßt und auch erwähnt hatte, dass er sich darauf freue, mit ihr CHAVACH zu jagen.
»Das ist gut«, sagte Minamoto und er klang wirklich erleichtert. »So ging Tanabes Seele direkt zu den Göttern und musste nicht den Umweg durch die Unterwelt nehmen. Nicht jeder hat dieses Glück. Vielleicht ist das auch nur Ihnen zu verdanken, Madame, und der Tatsache, dass Sie Tanabe auf diesen Geist angesprochen haben.«
»Was tun wir als Nächstes?«, fragte Nicole.
»Ich habe Ieyasu gebeten, das Stück von der alten Einsiedlerin vom Spielplan zu nehmen. Er wird morgen beginnen, mit seinen Kollegen ein neues einzuüben.«
»Wollen Sie ihm sagen, dass er wahrscheinlich von einem Dämon besessen ist?«, fragte Nicole und versuchte, bei dieser Frage nicht an Alphonsine und ihr tragisches Ende zu denken. Sie wollte
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