Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0936 - Schattentheater

0936 - Schattentheater

Titel: 0936 - Schattentheater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Picard
Vom Netzwerk:
müssen doch aber hierbleiben. Ich bin Zeugin!«
    »Und was wollen Sie der Polizei sagen?«
    Madame Deneuve öffnete den Mund und klappte ihn dann wieder zu. Sie sah ein wenig kleinlaut aus, schien aber begriffen zu haben, dass sie hier nichts mehr, aber auch schon gar nichts mehr tun konnte.
    »Sehen Sie«, meinte Minamoto. »Wir könnten der Polizei nichts Sinnvolles sagen. Wir müssten lügen. Hören Sie? Die Sirenen des Krankenwagens sind noch weit weg, aber er kommt näher. Sie können nichts tun, Madame. Das Einzige, was passieren wird, ist, dass Sie endlos lange verhört werden und die Wahrheit doch nicht sagen können. Man wird Sie nur verdächtigen und ich kann mir nicht vorstellen, dass Monsieur Landru das begrüßen würde, so wie ich ihn kenne.«
    Madame Deneuve ließ sich jetzt schon etwas williger mitziehen. Minamoto begann zu laufen. Die Sirenen kamen näher, und er wollte den schlechten Nachrichten aus dem Weg gehen.
    »Kommen Sie, Madame. Ich bringe Sie ins ryokan .«
    ***
    Es war die Hölle, das wusste er. Er selbst war in der Hölle.
    Doch er war keine der Seelen, die dort gefangen und deren Körper zum Verfall einfach liegen gelassen worden waren.
    Er gehörte hier nicht hin, das wusste er genau. Er sah sich um. Yomi. So habe ich mir immer das Reich der Toten vorgestellt.
    Es war düster, der Himmel grau, dräuende Wolken hingen tief und zogen dennoch eilig über die karge Gegend. Woher das Licht kam, war nicht klar. Die dicke Decke der wattigen, purpurfarbenen Wolken war absolut dicht und zeigte nicht die geringste Lücke. Dennoch lag über dem öden Land eine ungesund gelbliche Beleuchtung. Kein Ende der Ödnis war abzusehen.
    Im Zwielicht konnte er die Landschaft nur undeutlich erkennen, überall schienen auf dem Boden spitze Felsen und Steinbrocken herumzuliegen. Bis zum kaum erkennbaren Horizont, der mit dem bedrohlichen Himmel verschmolz, schien sich die Landschaft nicht zu ändern. Etwas Beängstigendes, Gefährliches lag über der Szenerie, und es waren nicht nur die gezackten und zerklüfteten Felsen, die ihm Angst einjagten, er war sicher, dass hinter den , Felsen Geister lauerten, die nur darauf warteten, sich von ihm zu ernähren, ihre vergilbten Reißzähne in sein Fleisch zu schlagen und ihm das Herz aus der Brust zu reißen. Er ging noch einen Schritt, als es unter seinen Füßen trocken knackte. Er sah hinab und erkannte, dass er auf Knochen ging. Ein Meer aus Knochen erstreckte sich unter ihm, menschliche Gebeine, Rippenbögen, skelettierte Hände und Beine, und dazwischen immer wieder Schädel, die ihn mit ihren toten Augen angrinsten. Er begann zu rennen. Doch immer mehr hatte er das Gefühl, dass die Schädel hinter ihm herlachten, jeder Einzelne von ihnen schien in ihm ein Festmahl zu sehen.
    Und es ist nicht einmal mein Fleisch, das sie wollen, wurde ihm plötzlich klar. Es ist meine Lebenskraft, meine Seele. Wenn sie mich berühren, dann werde auch ich zu einem dieser Skelette, die hier zertrümmert auf dem Wüstenboden liegen.
    In der Ferne zuckten lautlose, grelle Blitze über die zerklüfteten, verwitterten Berge.
    Er fragte nicht, woher es kam, dass er hier sehen konnte, und lief weiter über den mit spitzen Steinen und Knochensplittern übersäten Boden. Überall um ihn herum kristallisierten sich Schatten aus dem Zwielicht. Sie kamen ihm näher. Immer näher, sie schienen ihn wie die Skelette als ein lebendes Wesen erkannt zu haben und er wusste, es waren die Geister der Knochen, die hier überall aus dem Boden ragten. Er begann zu laufen, doch er kam nicht gut vorwärts. Die scharfkantigen Steine und Trümmer der Knochen schnitten ihm erst in die Strohsandalen, bis ihm diese von den Füßen hingen, dann, weil ihn seine Schuhe nicht mehr schützen konnten, rissen sie seine Fußsohlen auf. Die Erde, die aus Staub und Knochenmehl bestand - woher wusste er das? - trank gierig das Blut, so gierig, dass sie sich in seinen Schnittwunden festsetzte und ihm dort Kraft aussaugte, aber er konnte nicht aufhören zu rennen.
    Er lief weiter, floh vor den Schatten, die dennoch näher kamen, immer dichter an ihn heranreichten, bis er ihren Atem im Nacken hatte. Er stolperte, stürzte beinahe, stand wieder auf und rannte auf seinen zerschnittenen, blutenden Füßen weiter. Weg. Nur weg.
    Doch es war hoffnungslos. Immer mehr Schatten wuchsen aus dem Boden, der laute Atem, den er allenthalben hörte und der nicht von ihm selbst stammte, wuchs zu einem gierigen Keuchen, zu einem

Weitere Kostenlose Bücher