0936 - Schattentheater
Göttern nach Takama-no-hara eingehen zu dürfen.« Damit nickte er der Dame noch einmal zu und zog sein glänzendes Katana aus der Scheide an seinem Hakama-obi.
Er hob es mit geschlossenen Augen und bat den höheren Geist, dem er diente, um den Segen für sein Tun. Dann senkte er langsam die Klinge, legte die Spitze nacheinander auf das Herz und dann auf die Stellen, an der sich wahrscheinlich Mund und Stirn des Toten befunden hätten, hätte er noch seinen Kopf besessen. Dann wies er wieder auf den Rumpf. Über der Klingenspitze bildete sich jetzt eine kleine, leuchtende Kugel, die der Shinigami unendlich vorsichtig in seiner Hand auffing.
»Ich bin sicher, dass die werte Weißmagierin meine unwürdige Gegenwart für eine Weile entbehren kann. Ich weiß jetzt, dass Ihr hier seid und ich werde Euch finden, wenn man die Straße von diesem bedauernswerten Menschen hier gereinigt hat und ich meiner Aufgabe nachgegangen bin.«
Damit ließ er seine Gestalt ungeachtet des wütenden Protestes der Weißmagierin verblassen und verschwand.
***
»Nein, halt, du kannst doch jetzt - Merde! « Das Schimpfwort kam Nicole vom Herzen. Das konnte doch nicht wahr sein. Da hatte sie den ganzen Weg von Paris hierhin gemacht, nur um diesen Geist wiederzutreffen und sich einige Fragen beantworten zu lassen. Und mit welchem Ergebnis? Nichts. Sie hatte nichts erfahren.
Da tauchte der Geist auf, teilte ihr freundlicherweise mit, dass sie richtig gehandelt habe, und verschwand dann einfach so wieder. »Wenn er wenigstens gesagt hätte, wo man ihn findet!«, zischte Nicole vor sich hin. »Meine Güte, was ich diesen ganzen Geister-Zinnober manchmal satt habe!«
Aber nein, da ließ dieser Totengeist oder was auch immer das war, sie hier mit einer Leiche in einer winzigen Seitenstraße der japanischen Metropole allein. Nicole atmete heftig aus und setzte sich in einem Hauseingang auf eine Stufe. Jetzt blieb ihr nur noch zu hoffen, dass Minamoto oder Ieyasu oder ihretwegen auch dieser Totengeist wieder auftauchten, solange nicht irgendein ahnungsloser Passant oder, noch schlimmer, Polizist erschien, der sie in diesem fremden Land, in dem sie kein Wort verstand, des bestialischen Mordes an einem Museumsdirektor beschuldigte.
Es war ja nicht so, als wäre das noch nie vorgekommen.
Für einen Moment dachte Nicole daran, einfach zur nächsten Hauptstraße zu gehen, sich ein Taxi zu schnappen und zu ihrem ryokan zu fahren.
Sollen sie doch sehen, wie sie ihre blöden Dämonen selber fangen , dachte sie. Schon allein der Gedanke war befreiend. In ihrem Hinterkopf hörte sie eine amüsierte Stimme. Nici, das ist die beste Idee, die du seit Langem hattest. Hau einfach ab.
Nici. Wie lange hatte sie eigentlich niemand mehr bei diesem Namen genannt? Nicole seufzte und stand auf. Sie musste etwas tun. Irgendetwas. Für Tanabe-san konnte man nichts mehr tun, das Beste, was ihm nach seinem Tod noch hatte passieren können, war womöglich wirklich der Shinigami und dass dieser die Seele des Toten in ein Reich der Götter gebracht hatte.
Ich hoffe, Tanabe-san, dass du es ab jetzt besser haben wirst. Und nun ist es vielleicht keine dumme Idee, tatsächlich an der Hauptstraße auf Minamoto zu warten , dachte sie dann und machte sich langsam und möglichst leise auf den Weg.
Doch kaum hatte sie sich von der Leiche abgewandt und sich zum Ausgang der Gasse gewendet, als sie am anderen Ende der Gasse erneut eine Gestalt erkannte, die langsam auf sie zukam.
***
Minamoto hastete die Hauptstraße entlang.
In der Gasse der Kami-Götter befand sich Madame Deneuve und war Zeuge eines weiteren Dämonenmordes geworden! Warum hatte Tanabe-san sich nur auf diese Abkürzung zu seinem Appartementhaus eingelassen! Anscheinend war Tanabe-san schon betrunkener, als ich wahrhaben wollte. Ich hätte Ieyasu-san bitten sollen, keinen Alkohol an seine Gäste auszuschenken.
Er spürte einen Stich der Schuld. Er hatte Ieyasu-san schon dreimal inständig gebeten, die Gesellschaften zu Ehren seines Theaters nicht zu feiern, bis der Dämon besiegt war oder man zumindest die Ursache der Morde herausgefunden hatte, doch dieser hatte sich bisher geweigert. Er fürchtete um seinen guten Ruf und um den des Theaters.
Und das Ergebnis sieht man hier! , dachte Minamoto bitter. Es wird nur schlimmer statt besser. Ich hätte eindringlicher darauf bestehen müssen, so habe ich Ieyasu keinen guten Dienst erwiesen.
Aber auch Tanabe-san selbst hätte es besser wissen müssen. In der Nacht
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