0936 - Schattentheater
vermeiden, dass mit Koichi Ieyasu Ähnliches geschah.
»Ich weiß noch nicht, ob das wirklich gut ist. Wie ich schon sagte, denke ich, dass Ieyasu von seiner Besessenheit gar nichts ahnt. Vielleicht sollten wir erst versuchen, herauszufinden, wie eng sich dieser Dämon mit meinem unglücklichen Freund verbunden hat.«
»Wie soll das gehen?«, fragte Nicole. Sie war neugierig, wie man das in Japan machte. Auch mit Symbolen aus geweihter Kreide? Sie musste an den mit japanischen Zeichen beschriebenen Zettel denken, den Minamoto kurz nach der Gesellschaft im Teehaus an den Rücken Hanzo-sans geheftet hatte.
»Ich werde das später noch mit meiner Tante besprechen«, meinte Minamoto. »Ich bin mir selbst noch nicht ganz sicher, wie ich es machen will. Aber meine Tante ist Schamanin und Shinto-Priesterin; ihr wird etwas einfallen.«
Nicoles Augen verengten sich. Madame Ichiko war also eine Schamanin. Hätte ich mir ja auch denken können. Wahrscheinlich will sie deshalb, dass ich den Tee austrinke und noch einmal bade, bevor ich schlafe. Ob Minamoto ihr mitgeteilt hatte, was seinen Verdacht bezüglich Nicole anging? Wahrscheinlich. Nicole beschloss, das nicht weiter zu erwähnen. Sie war sicher, dass die Schamanin es nur gut mit ihr meinte.
Minamoto schien ihre Gedanken zu erraten. »Sie können mir und meiner Tante wirklich vertrauen. Wir haben unser Leben, wie Sie auch, Madame, ganz dem Kampf gegen Dämonen verschrieben, wir sind also auf derselben Seite. - Es ist schon spät. Ich glaube, ich werde mich jetzt verabschieden«, sagte er freundlich.
Sie sah Minamoto-san, der aufstand und sich noch einmal verneigte, nachdenklich hinterher. Es ist wirklich erstaunlich, wo überall man in der Welt Freunde findet , dachte sie. Ich habe schon oft gezweifelt, aber vielleicht habe ich ja doch den richtigen Job. Aber darüber werde ich morgen wieder nachdenken.
Jetzt werde ich jedenfalls noch einmal ordentlich baden, bevor ich ins Bett gehe.
***
Als Nicole müde in ihr Zimmer zurückkehrte, musste sie schmunzeln.
Neben ihrem auf dem Boden ausgebreiteten Futon stand eine frische Kanne Tee auf einem kleinen Stövchen. Madame Ichiko glaubt offenbar, dass ich noch mehr von ihrem magischen Tee brauche , dachte sie amüsiert. Sie zog den Bademantel aus und schlüpfte unter die dicke Steppdecke. Sie fühlte sich nach dem Baden leicht und zufrieden, und als sie in sich hineinhorchte, stellte sie fest, dass diesmal beinahe jegliche Angst vor dem Einschlafen fehlte. Sie dachte darüber nach - in den letzten Wochen hatte sie fast jedes Mal, wenn sie einschlief, tief in sich diese Furcht gespürt, wieder von diesem Zwerg am Lavasee zu träumen. Davon, welche Auswirkungen er hatte, wie er sich ihrer zu bemächtigen schien. Immer hatte in ihrem Bewusstsein die Frage gehangen, wie es sein konnte, dass er seinen machtvollen Schatten trotz der eigentlichen Unbeweglichkeit, mit der er am Felsen hing, so spürbar ausschicken konnte.
Doch heute war es anders. Ob es an dem Bad lag, an Madame Ichikos Kräuterzauber oder daran, dass sie so weit von Europa entfernt war, wusste Nicole nicht, aber sie fühlte sich hier in Tokio wirklich von Minute zu Minute freier. Der Traum war nur noch Erinnerung, die gewaltige Furcht, die sie bis in ihre Seele erschüttert hatte und die sie auch in den wachen Stunden so drückend belastet hatte wie ein Stein, war verschwunden. Es kam Nicole so vor, als sei CHAVACH nur eine Erinnerung, eine, die jeden Schrecken verloren hatte.
CHAVACH. Was war das nur für ein Dämon? Bisher hatte sie keine Hinweise auf ihn außer den Träumen und den Aussagen des Shinigami - und das war beklagenswert wenig. Jedenfalls nicht genug, dass Nicole sich auf das Ganze einen Reim machen konnte. Bis jetzt ergaben ihre Informationen keinen Sinn, aber es schien, als liefe sie bei dem Versuch, mehr herauszufinden, gegen Wände. Vielleicht war das ein Anzeichen dafür, dass es sich nicht um einen der Alteingesessenen der Schwefelklüfte handelte. Aber konnte ein neuer Dämon bereits eine solche Macht ausstrahlen?
Sie begann, in dieser Sache wirklich die Geduld zu verlieren und dachte für einen Moment daran, Vassago zu rufen. Dann verwarf sie den Gedanken wieder. Es schien ihr, als hätte sie sich und das Zimmer mit einer Dämonenbeschwörung befleckt und der Reinheit beraubt, die ihr in den letzten Wochen so sehr gefehlt hatte.
Nicole begann, sich wieder über den japanischen Totengeist zu ärgern. Tauchte einfach so mal auf, machte
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