0937 - Belials Mordhaus
zu schaffen, daß es jemand verstanden hatte, in sein Haus einzudringen, ohne daß es von ihm bemerkt worden war. Deshalb hatte er seine Sicherheit für den Moment verloren, und das gleiche galt auch für Mary.
Sie stand hinter ihrem Mann. Den Mund konnte sie nicht mehr schließen. Sie staunte in die Küche hinein, sie sah die schreckliche Gestalt und konnte sich plötzlich vorstellen, daß der Eindringling den Kopf ihres Sohnes in den Händen hielt.
Wer war es? War er ein Mensch? War er ein Dämon? War er ein Todesbote? Er konnte alles und nichts sein. Auch wenn die beiden noch so intensiv nachdachten, der ganzen Wahrheit würden sie kaum näherkommen, denn Fragen zu stellen war ihnen nicht möglich. Sie starrten den unheimlichen Besucher nur an, um jede Einzelheit seines Körpers wahrnehmen zu können.
Er hatte sich fast lässig auf dem Stuhl niedergelassen und die nackten Beine übereinandergeschlagen. Der Blick war auf die Tür und die beiden Menschen gerichtet. Er schaute sie aus unheimlichen, kalten, dunklen und zugleich trüben Augen an. Das lange, aschgraue Haar umrahmte den Kopf.
Dieser Fremde verbreitete eine Atmosphäre, die beide Sinclairs schaudern ließ, und der ungewöhnliche Geruch kam ihnen plötzlich beißend vor.
Die Gestalt trug keinen Faden Kleidung am Leib. Sein Körper war nicht unbedingt muskulös, er wirkte aber auch nicht mager, einfach normal. Die nackte Haut sah heller aus als das Gesicht mit den grauen Falten. Auf der Brust jedoch wuchsen ebenfalls graue Haare so dicht wie ein Fell.
Und noch etwas irritierte die Sinclairs. Über beide Schultern hinweg schauten zwei relativ spitze Gegenstände, beinahe wie Segel, nur dunkler. Grau, blau und schwarz schimmerten sie, besetzt mit einem leicht glänzenden Muster, das durchaus von Federn stammen konnte, die schichtweise übereinandergelegt worden waren.
Eine Waffe trug er nicht bei sich. Allein seine Anwesenheit hier im Haus war für die Sinclairs Waffe und Drohung genug. Sie wußten, daß sie gegen diese Gestalt mit dem harten, aber auch gleichzeitig etwas traurigen Gesichtsausdruck nicht ankamen. Im Prinzip wirkte er so wie jemand, der unter einer schweren Last zu leiden hatte.
Horace F. Sinclair erinnerte sich daran, daß er in diesem Haus der Herr war. Er wollte sprechen, dieses Wesen zumindest etwas fragen, aber er brachte keinen Ton hervor, geschweige denn ein Wort. Irgend etwas hatte in seiner Kehle die Stimmbänder zusammengeschnürt.
Dafür sprach der Besucher. »Ich weiß, wer ihr seid…« Er ließ seine ersten Worte wirken, und die Sinclairs waren auch über seine Stimme etwas schockiert. Sie hörte sich bizarr an, nicht laut oder grollend, sondern so, als wäre bei jedem Wort knisternde Elektrizität, die sich in Funken entladen hatte, über die Stimmbänder gehuscht. So hatten sie noch nie jemanden sprechen hören.
»Was willst du? Willst du wieder den Kopf meines Sohnes in den Kühlschrank legen?« Diesmal hatte Mary gesprochen und sich dabei über sich selbst gewundert.
Belials dünne Lippen zuckten nur. Wahrscheinlich sollte es ein Lächeln sein. »Ja, ich bin es gewesen. Es stimmte, oder stimmte es nicht? War der Kopf vorhanden?«
»Ich habe ihn gesehen!« behauptete Mary.
Belial nickte. »Ja, du hast ihn gesehen.« Er korrigierte sich gleich selbst. »Vielleicht hast du ihn gesehen. Nicht alles, was man sieht, stimmt. Es kann gelogen sein, es kann der Wahrheit entsprechen, aber sagt eurem Sohn nur, daß ich auf ihn warte.«
»Und wenn er nicht kommt?«
»Er macht das schon.«
»Wir könnten ihm auch abraten…«
Belial stand auf. Wegen dieser Bewegung hatte Mary nicht mehr weitergesprochen. »Sagt ihm, daß er noch zwei Frauen vermißt. Er soll an sie denken, sagt ihm das.« Der düstere Todesbote ging auf das Fenster zu. Beide Sinclairs rechneten damit, daß er es öffnen würde, aber das tat er nicht. Er blieb nur für einen winzigen Moment vor der Scheibe stehen, dann streckte er den rechten Arm aus, berührte das Glas - und faßte hindurch, denn es zerbrach nicht.
Der Hand und dem Arm folgte der Körper, und einen Augenblick später hatte Belial das Hindernis hinter sich gelassen.
Ob er vor dem Haus stehenblieb oder über dem Boden schwebte, konnte keiner der beiden Beobachter sagen. Jedenfalls blieb er nicht lange an diesem Fleck. Seine Flügel auf dem Rücken bewegten sich und klafften dabei auseinander.
Staunend und sprachlos schauten der Mann und die Frau zu, wie sich ihr unheimlicher Gast vom
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