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0938 - Rabenherz

0938 - Rabenherz

Titel: 0938 - Rabenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Fröhlich
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Preis eines anderen Lebens? Niemals!
    »Du hast gewonnen!«
    Ich wandte mich um. Die Hüterin hielt mir einen goldenen Kelch entgegen. In ihren Augen glaubte ich Tränen zu erkennen.
    »Was?«, erwiderte ich. »Er stirbt, wenn wir nichts unternehmen!«
    »Du hast gewonnen!«, wiederholte sie. Man hätte ihre Stimme zerschneiden und mit den Bruchstücken Getränke kühlen können. Sie duldete keinen Widerspruch. »Koste von der Quelle. Und dann geh!«
    Wie betäubt nahm ich den Kelch in Empfang, schöpfte damit vom Teich und trank.
    Ich glaubte, das Salz meiner Tränen im Wasser des Lebens zu schmecken.
    ***
    »Und was geschah danach?«, fragte Dylan.
    »Ich ging den Weg zurück, den ich gekommen war. Das glaube ich zumindest - ich kann mich nur wie durch Nebel daran erinnern. Ständig hämmerte mir nur ein Gedanke im Kopf: Du hast einen Menschen getötet! Du hast einen Menschen getötet! Der süße Duft der Luft wirkte auf mich plötzlich schal und abgestanden. Die strahlenden Farben der Vegetation schienen mir wie Pastelltöne.« Zamorra erkannte, dass Dunja mit den Tränen kämpfte. »Und dann stand ich mit einem Mal wieder im Wald vor der Felswand. Neben mir Kesriel. Von Atrigor fehlte jede Spur.«
    In Zamorras Kopf überschlugen sich die Gedanken. Hatte Atrigors Unfalltod - und um nichts anderes handelte es sich! - die Quelle des Lebens verunreinigt? Trug dieser erste Tod die Schuld an den veränderten Regeln, wie der Professor sie kennengelernt hatte? Würde er die Wahrheit jemals erfahren? Machte es überhaupt einen Unterschied?
    Dunja schniefte und Dylan reichte ihr ein Taschentuch. »Tut mir leid, dass ich hier so rumheule.« Sie schnauzte sich herzhaft. »Aber diese Erinnerungen sind so frisch für mich, als lägen die Ereignisse erst einen Tag zurück und nicht Tausende von Jahren.«
    »Wie kann das sein?«, fragte Zamorra.
    »Mein Haus, das mir sonst wie eine sichere Zuflucht erschien, wirkte kalt und abweisend«, erzählte Dunja. Sollte das eine Antwort auf Zamorras Frage sein? »Ich verkroch mich ins Schlafzimmer, zog mir die Decke über den Kopf und weinte. Stundenlang. Ich schloss die Fensterläden, schloss die Augen, schloss meinen Geist. Dennoch ließ mich der Anblick des tödlich verletzten Atrigor nicht mehr los.« Sie reichte Dylan das feuchte Taschentuch, der es ohne Regung an sich nahm und einsteckte. »Kann ich vielleicht etwas zu trinken haben?«
    »Klar!« Dylan sprang auf. »Was darf es denn sein? Wasser? Saft? Tee?«
    »Wein wäre schön.«
    »Ich bitte William, eine besonders gute Flasche aus dem Keller zu holen.« Dylan warf Zamorra einen fragenden Blick zu und der genehmigte als Eigentümer des Weinkellers den Vorschlag mit einem Nicken.
    »Am Abend klopfte es an meiner Tür«, fuhr Dunja fort. »Ich wollte niemanden sehen, wollte nur meine Ruhe. Dennoch öffnete ich. Vor mir stand ein alter Mann in einem flammend roten Mantel. Er wandte mir den Rücken zu. Ich sah nur das eingestickte goldene Pentagramm und seine weißen Haare. Als er sich zu mir umdrehte, blickten mich Augen an, die viel jünger erschienen als der Mann selbst. Trotz seines weißen Vollbarts wirkten sie jung, frisch und trotzdem unendlich erfahren. Klingt blöd, oder?«
    »Überhaupt nicht«, erwiderte der Meister des Übersinnlichen. Vielmehr klang es nach Merlin. Zamorra wunderte sich kein bisschen, dass der alte Magier wieder einmal seine Finger im Spiel gehabt hatte.
    »Was danach geschehen ist, weiß ich nicht. Mein Besucher muss mir irgendwie die Erinnerung an die Ereignisse bei der Quelle des Lebens genommen haben. Über Millennien hinweg wusste ich nicht, warum ich so war, wie ich war. Erst vor ungefähr anderthalb Jahren kehrten erste Bilder und Gedächtnissplitter zurück.«
    Dylan betrat das Kaminzimmer. »William bringt gleich ein leckeres Tröpfchen.«
    Dunja warf ihm einen dankbaren Blick zu.
    »Er ist gestorben«, sagte Zamorra.
    »Echt?« Dylan schmunzelte. »Auf mich hat William gerade noch einen sehr rüstigen Eindruck gemacht.«
    »Nicht er!« Zamorra wandte sich an Dunja. »Merlin, der Magier. Der Mann, der dir die Erinnerungen geraubt hat. Er ist ungefähr zu der Zeit gestorben, als dein Gedächtnis langsam zurückkam.«
    Als der Professor Dylans verwirrten Blick bemerkte, berichtete er ihm, was Dunja während seiner Abwesenheit erzählt hatte. »Sieht so aus«, sagte Dylan, »als gehe alles, was Merlin geschaffen hat, nach seinem Tod den Bach hinunter. Der Erinnerungsblock, seine Inkarnationen, das

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