0938 - Rabenherz
einem Mal brach das Gefängnis auf. Endlich! Er war frei!
Mit letzter Kraft schleppte er sich voran, streifte den geschmeidigen Panzer ab.
Sollte er auf Zamorra warten? Sollte er sich ihm stellen?
Nein. Noch nicht. Nicht, solange er sich über sein wahres Inneres nicht im Klaren war. Nicht, solange er kraft- und hilflos wie ein frisch geschlüpftes Küken war.
Er richtete sich auf. Er hatte sich nicht getäuscht. Die Gefahr, die außerhalb des Gefängnisses auf ihn gelauert hatte, war tatsächlich verschwunden. Der Schirm, (die M-Abwehr ) der das Böse in ihm angegriffen hätte, war erloschen.
Wie lange noch?
Er wollte nicht riskieren, es herauszufinden. Also stieß er sich ab und floh durch das geschlossene Fenster.
***
Sie sprangen auf und liefen los. Noch auf dem Weg nach draußen rief Zamorra Rhett und Kathryne zu: »Ihr bleibt hier und passt auf unseren Gast auf.«
Mit hastigen Schritten eilten Zamorra und Dylan die Treppe hoch. Immer zwei Stufen auf einmal.
»Wohin rennen wir eigentlich?«, keuchte Dylan hinter dem Professor.
»Keine Ahnung!«
Sie erreichten den ersten Stock, hielten für einen Augenblick inne und lauschten. Nichts zu hören.
»Komm weiter. Vielleicht im Zauberzimmer!«
»Der Glibberwatz?«, fragte Dylan. »Oder seine Verwandten, die zur Beerdigung gekommen sind?«
Doch das Zauberzimmer sah so aus, wie sie es vorhin verlassen hatten. Auch in Zamorras Arbeitszimmer in der zweiten Etage wurden sie nicht fündig.
Dann stieß der Professor die Tür zu Foolys Zimmer auf - und blieb wie angewurzelt stehen.
»O Kacke!«, sagte Dylan, als er Zamorra über die Schulter schaute.
Fooly war verschwunden - und das Fenster samt Rahmen zum größten Teil auch. Ein Bild, wie man es aus den wachen tollpatschigen Tagen des kleinen Kerls kannte. Der Jungdrache musste erwacht und durch das Fenster geflohen sein. Doch warum? Und vor wem? Zamorra hatte Angst vor den Antworten auf diese Fragen.
Noch erschreckender war für ihn jedoch, dass Fooly etwas zurückgelassen hatte.
Auf dem Bett lag die aufgeplatzte Drachenhaut, die noch die Körperform erahnen ließ.
»Wie konnten wir nur so dumm sein?«, hauchte Zamorra. Mit zögerlichen Schritten betrat er das Zimmer, Dylan im Schlepptau.
»Wie meinst du das? Was ist geschehen?«
»Wie hatten wir uns all die Zeit nur so irren können? Fooly hatte gar nicht im Koma gelegen. Er hatte sich in seiner eigenen Haut verpuppt, um sich darin zu entwickeln. Es war ein Entwicklungsschub, keine Krankheit!«
»Ich weiß nicht«, entgegnete Dylan. »Würde so ein Schub so schnell einsetzen? Ohne Vorwarnung?«
»Vermutlich hat ihn der Treffer des Blitzes aus dem Amulett erst ausgelöst, denn damit fing alles an. Deshalb auch die Schwellungen seines Körpers in den letzten Monaten! Er ist in seiner Haut gewachsen. Und nun ist er ausgeschlüpft.« Zamorra schüttelte den Kopf. »Hätte ich es nur geahnt und die normale Entwicklung einfach abgewartet. Niemals hätte ich mich auf derart zweifelhafte Zeremonien eingelassen und ihn einer Gefahr ausgesetzt, wie ich es getan habe.« [4]
»Schau mal!« Dylan deutete auf die Wand über dem Bett. An ihr prangte ein großer Rußfleck.
»Dahinter liegt Rhetts Zimmer! Das müssen Spuren von seiner Magieexplosion sein, die er heute Nachmittag erlitten hat. Vielleicht hat sie sogar Fooly getroffen. Wir hätten gleich nachsehen sollen! Was für eine Ironie: Ein Energieblitz des außer Kontrolle geratenen Amuletts hat den Entwicklungsschub ausgelöst, ein Energieblitz des außer Kontrolle geratenen Erbfolgers hat ihn womöglich beendet.«
»Schön und gut! Aber wo ist er jetzt?«
»Ich weiß es nicht. Mit Sicherheit ist er nicht mehr der drollige tollpatschige Jungdrache, wie wir ihn kannten. Vielleicht hat ihn die schnelle Entwicklung so aus der Bahn geworfen, dass er erst mit sich selbst ins Reine kommen muss.«
Wie erwachsen mochte Fooly nun sein? Genug, um ins Drachenland zurückzukehren? Hatte er sie womöglich deshalb verlassen? Befand er sich bereits auf dem Weg in die Heimat seines Elters?
Zamorra hakte das Amulett von der Kette um den Hals, wo er es nach dem Angriff des dämonischen Hundes befestigt hatte. Sicherlich hätte er es ohne großen Kraftaufwand auch rufen können - aber ohne großen Kraftaufwand hieß eben nicht völlig ohne Kraftaufwand!
Er versetzte sich in Halbtrance und löste mit einem Gedankenbefehl die Zeitschau aus. Sofort verwandelte sich der Drudenfuß im Zentrum der Silberscheibe in eine Art
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