094 - Das Mädchen auf dem Teufelsacker
konnte, wurde ihrer aller Aufmerksamkeit durch etwas anderes abgelenkt. Hinter der dicken, undurchdringlich und gefährlich wirkenden Nebelschicht regte sich etwas. Für wenige Augenblicke waren die schemenhaften Konturen einer menschlichen Gestalt zu erkennen.
Eine heisere Stimme rief: „Yoki! Yoki!"
Edvard schauderte.
Die Gestalt zog sich wieder in die Wolke zurück.
Edvard sagte: „Ich glaube, das war Eike Gynt, der Wirt. Nach wem ruft er denn bloß?"
Die Antwort präsentierte sich auf überraschende Weise. Coco schaute sich um und bemerkte als erste den Vierbeiner, der hinter einer schneebedeckten Kuppe auftauchte. Sie machte die anderen auf ihn aufmerksam.
„Ein Schlittenhund", stellte der Japaner fest.
Bellend kam das Tier den Hang herabgelaufen und eilte an ihnen vorüber auf den Platz zu, an dem die Gestalt des Mannes im Nebel erschienen war. Schweigend und mit beklommenen Mienen wartete die Besatzung des Kettenfahrzeuges.
Laute, die sich schwer einordnen ließen, waren aus der Wolke zu vernehmen: ein gurgelnder Seufzer, entsetztes Keuchen - dann ein Jaulen, das nur von Yoki, dem Schlittenhund stammen konnte. „Es ist besser, nach dem Rechten zu sehen", sagte Abi Flindt. Er stieg aus und griff nach seinem leichten Handgepäck. „Worauf warten wir denn noch?"
Wieder rührte sich etwas im Randbereich der weißlichen Nebelschicht. Edvard, der Fahrer, schreckte zusammen, als der Hund ins Freie getaumelt kam. Niemand entging, daß eine Veränderung mit ihm vorgegangen war. Er wirkte wie ein wandelnder Kadaver, war total abgemagert, und hatte ein faltiges, trocken und krank aussehendes Fell.
Yoki, der Schlittenhund, kam nur ein paar Schritte weit, dann brach er mit einem ächzenden Laut zusammen.
Edvard stieß einen Schrei aus.
Hideyoshi Hojo und Coco Zamis verließen nun ebenfalls das Kettenfahrzeug. Der Däne war bereits neben dem Hund und beugte sich über ihn.
„Tot", konstatierte er. „Und sein Leib ist völlig blutleer, wenn ihr mich fragt."
„Armer Teufel!" sagte Coco.
„Ich will fort", äußerte Edvard mit überkippender Stimme. „Hier hält mich nichts mehr. Wer so verrückt ist, sein Leben zu riskieren, der soll's meinetwegen tun. Ich mache da nicht mit."
Der Japaner kehrte zum Gefährt zurück und holte sämtliches Gepäck herunter. Er setzte es ab, und schüttelte dem dicklichen Mann die Hand und verabschiedete sich mit freundlichen Worten, wie es die ihm anerzogene Höflichkeit gebot. Dann trat er wieder zu den Freunden.
Edvard blieb neben seinem Fahrzeug stehen und schaute in einer Mischung aus Neugierde und Unschlüssigkeit zu ihnen herüber.
„Wer in den Nebel geht, dem wird das Blut ausgesaugt, und er stirbt", sagte Coco. „Aber wie geht das vonstatten? Ich kann nirgends eine Wunde erkennen."
„Also keine Vampire? Keine Wiedergänger?" Abi Flindt hob die Schultern und senkte sie wieder. „Gehen wir hinein und sehen wir nach, um was es sich handelt. So kommen wir dem Bösen am ehesten auf die Spur."
„Du hast recht. Aber wir müssen uns entsprechend vorbereiten", gab Yoshi zurück.
Coco blickte auf. „Helft mir, bitte! Wir müssen eine traurige Pflicht erfüllen und den Hundekadaver verbrennen."
Sie hatten das Feuer mit Hilfe einer Zeitschrift entfacht. Flammen loderten himmelan, bis von dem Schlittenhund nur noch ein Haufen Asche übrigblieb.
Coco, Yoshi und Abi öffneten den flachen Lederkoffer, in dem sie einige Waffen mitgeführt hatten. Sie waren dabei, das Material zu sondieren, als Edvard wieder einen Schrei ausstieß. Der Däne blickte wütend auf und wollte ihm etwas Beleidigendes zurufen. In diesem Augenblick wankte jedoch eine menschliche Gestalt aus dem Nebel hervor.
Edvard hatte nichts Eiligeres zu tun, als den Platz hinter dem Steuer des Kettenfahrzeuges einzunehmen. Zitternd startete er den Motor, wendete und fuhr davon.
Coco und ihre Freunde schauten unterdessen forschend dem Mann entgegen, der sich ihnen da näherte. Mit unsicheren Schritten stapfte er daher, sein faltenreiches Gesicht verzog sich zu einem infantilen Grinsen. Der Kleidung nach zu urteilen, war er ein Lappe; einer der Nomaden, die auf der Insel Mageröya lebten.
„Hallo!" rief er aus, hob eine Hand und winkte albern. „Hallo, Leute! Will- willkommen hier in Tingvoll!"
„Auch ein Blutleerer", sagte Yoshi.
„Ich finde, er sieht gesund und unversehrt aus", widersprach Coco.
Abraham Flindt grinste plötzlich. Er ging zu dem Lappen, schüttelte ihm die bereitwillig
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